Immer der Nase nach

Der Geruchssinn wurde lange unterschätzt. Dabei ist es nicht nur praktisch, gut riechen zu können, sondern auch gesund. Das gilt für Hunde wie für Menschen. Fünf Einblicke in die Welt des Olfaktorischen

Auf der Spur der Wildschweinschwarte: Suchhund beim Training Foto: Jens Büttner/dpa

Von Marius Ochs

1. Der Geruchssinn hatte es nicht leicht

Dass der Mensch kein Geruchstier ist, das scheint schon seit den alten Griechen festzustehen. Bereits bei Platon hieß es, dass die sinnliche Welt für den Menschen keine wahre Erkenntnis biete. Es gab zwar immer wieder andere Meinungen, wie zum Beispiel die des Naturphilosophen Jean-­Jacques Rousseau: Er glaubte, dass der Mensch in der sinnlichen Erfahrung – also auch dem Riechen – näher an seinem Naturzustand sei.

Doch die rationalen Denkschulen Platons und Kants waren in der westlichen Welt über Jahrhunderte dominant. So galt es lange als sicher, dass der Mensch nicht zum Riechen bestimmt sei. Die Forschung zu dem Thema kommt auch deshalb erst in den letzten Jahrzehnten in Fahrt.

Historisch lässt sich jedoch sagen, dass Parfüme und andere Duftstoffe seit Jahrtausenden weltweit und kulturübergreifend verwendet werden. Schon daraus kann man schließen, dass gute Gerüche immer eine Bedeutung hatten, wenn es um menschliche Kontakte und Rituale ging – gute Gerüche sind ein menschliches Grundbedürfnis.

2. Auf der Suche nach dem perfekten Duft

In Patrick Süskinds Roman „Das Parfum“ wird der mit einem genialen Geruchssinn ausgestattete Protagonist Grenouille auf der Suche nach dem perfekten Geruch wahnsinnig. Er wird zum Frauenmörder und kreiert so auf grausame Art das beste Parfum aller Zeiten. Könnte ein solcher Duft – natürlich auf weniger gewaltvolle Art und Weise – auch in der Realität hergestellt werden?

Wenn es einer wissen muss, dann Johann Maria Farina. Er ist Leiter und Erbe von Farina 1709, dem ältesten Parfümhaus weltweit und Geburtsort des Eau de Cologne. „Ob einem Menschen ein Geruch gefällt oder nicht, ist höchst subjektiv. Das hängt mit Erfahrungen und Erinnerungen zusammen“, sagt er.

Insbesondere bei der Haute Couture der Gerüche sei es noch die Aufgabe des Parfümeurs oder der Parfümeurin, den Duft zu kreieren. Währenddessen werden erste Produkte für den Konsum mittlerweile manchmal schon von Maschinen entwickelt, vor allem bei den großen Firmen auf dem Geruchs- und Aromamarkt. Künstliche Intelligenzen stellen hier Moleküle zu neuen Kreationen zusammen. „Wenn es um die Aromen neuer Produkte wie zum Beispiel Waschmittel geht, wird das schon gemacht“, sagt Farina. „Das ist ein ganz toller neuer Weg, aber leider wird dort alles über Meinungsumfragen ermittelt. Ich finde, dass so das Menschliche verloren geht.“

Doch woran erkennt man einen qualitativ hochwertigen Geruch dann? „Ein guter Geruch sollte harmonisch sein, es ist ähnlich wie bei einem gut abgelagerten Rotwein. Die einzelnen Elemente müssen perfekt aufeinander abgestimmt werden. Aber weil jeder den Geruch dann unterschiedlich wahrnimmt, kann es so etwas wie den perfekten Geruch nicht geben.“

3. Riechen kann man trainieren

Eigentlich ist Johann Maria Farina Pharmazeut. Als Parfümeur muss er neben chemischem Wissen aber natürlich vor allem einen fein ausgeprägten Geruchssinn haben. „Das ist eine reine Trainingssache, wie Vokabeln lernen“, sagt Farina – er trainiert täglich. Mittlerweile könne er bei einigen Stoffen sogar einzelne Moleküle unterscheiden.

„So ein Geruchstraining ist eigentlich ganz einfach, man muss nur anfangen, auch mal bewusst zu riechen.“ Am besten solle man dazu mit starken Gerüchen starten – getrocknete Blumen, Gewürznelken oder Zitronen eignen sich beispielsweise gut. Wenn man so über einige Wochen zweimal täglich intensiv und bewusst an den einzelnen Düften riecht, sorgt das schon für eine wesentliche Verbesserung des Geruchssinns. Solche Übungen können sogar beim Geruchsverlust durch Covid-19 helfen, wie For­sche­r:in­nen der Technischen Universität Dresden herausgefunden haben.

4. Wer besser riecht, lebt länger

Den Geruchssinn zu schärfen lohnt sich auch, wenn man keine Karriere als ParfümeurIn anstrebt. „Das macht nicht nur Spaß, sondern hat auch große gesundheitliche Vorteile“, sagt Farina: „Nichts schützt besser vor Demenz!“ Das wurde tatsächlich auch in Studien nachgewiesen. Den Geruchssinn zu trainieren, so Farina, sei außerdem „ein viel besseres Gedächtnistraining als Sudoku“.

Es gilt: Wer besser riecht, lebt länger. Bei einer Studie in den USA testeten For­sche­r:in­nen den Geruchssinn von 2.289 Proband:innen, die zwischen 71 und 82 Jahren alt waren. Die Ergebnisse waren erstaunlich: Nach zehn Jahren gab es unter denjenigen, die schlechter riechen konnten, ein teilweise um 62 Prozent erhöhtes Sterberisiko. Andere Studien deuten in eine ähnliche Richtung.

Umgekehrt bedeutet das auch, dass ein verschlechterter Geruchssinn ein Hinweis auf eine Erkrankung sein kann. Bei Parkinson wurde dieser Zusammenhang bereits nachgewiesen. Die Verschlechterung des Riechvermögens geschieht dabei meistens unbemerkt – ein weiteres Argument dafür, im Alltag auch mal bewusster zu schnuppern.

Doch wir nehmen Geruch nicht nur wahr, wir strömen ihn auch ununterbrochen aus. Die Moleküle, die wir ausstoßen, geben Aufschluss über unsere Gesundheit. Man muss nur an den salzigen, fauligen Schweißgeruch nach einer Fiebernacht denken. Wenn wir schwitzen, während wir krank sind, arbeitet unser Körper durch die Temperaturänderung daran, Bakterien oder Viren abzutöten. Mit unserem Schweiß kommen die Abbauprodukte dieses inneren Kampfes als Moleküle an die Luft. Man kann also beruhigt sein: Der salzige, unangenehme Geruch ist etwas Positives! Auch wenn man nach einer solchen Nacht natürlich trotzdem lieber das Bettlaken wechselt.

5. Alle Hunde brauchen Suchaufträge

Auch Hunde können Krankheiten sehr gut erschnüffeln, wenn man sie darauf trainiert. So machten Hundestaffeln Schlagzeilen, die eine Infektion mit dem Coronavirus erkennen können. „Das Virus an sich kann man nicht riechen“, sagt Geruchsforscherin Bettina M. Pause. „Aber durch das Virus veränderte Zellabbauprodukte haben einen geruchlichen Effekt.“ Diese können von abgerichteten Hunden erkannt werden.

Die Top-Schnüffler unter den Hunden riechen Krankheiten, Drogen und Sprengstoff. Doch auch der ganz normale Familienhund kann zum Spürhund werden. Hundetrainerin Jacqueline Koerfer aus Luxemburg bildet Tiere für den Arten- und Umweltschutz aus. „Die Hunde erschnüffeln dann zum Beispiel Rehkitze auf der Wiese, bevor die Mähdrescher losfahren. Oder Schlag­opfer bei Windrädern, Vögel oder Fledermäuse, für die Statistik des Umweltministeriums.“ Auch auf Bettwanzen-Suche gehen ihre Hunde, es komme immer auf den Auftrag an.

„Jagdhunde sind dabei etwas im Vorteil, Kurzschnäuzige haben einen leichten Nachteil. Aber grundsätzlich kann das jeder Hund machen“, sagt Koerfer. Eine Ausbildung dauere zwei bis drei Jahre. „Meine Kunden machen das in der Freizeit. Bei der Polizei geht das viel schneller, die können die Ausbildung in wenigen Monaten machen.“

Das Training durchläuft mehrere Phasen. Erst werde mit einem Spielzeug, das nach Gummi riecht, trainiert. Die Hunde suchen und finden dann immer kleinere Stücke davon. „Irgendwann arbeitet man dann mit den echten Zielgerüchen. Jeder Geruch hat so etwas wie einen Fingerabdruck.“ Wenn die Hunde einmal wissen, wie ein Rehkitz riecht, erkennen sie den Geruch immer wieder.

Für die Hundetrainerin hat das Geruchstraining auch mit der artgerechten Haltung der Hunde selbst zu tun. „Hunde sind Geruchstiere, man sollte sie artgerecht beschäftigen.“ Auch ohne das intensive Geruchstraining sei es wichtig, den Hunden im Alltag den ein oder anderen Suchauftrag zu geben, und sei es nur ein Leckerchen. „Wenn das mehr Leute tun würden, wäre das wunderschön.“