berliner szenen: Wieder unter Menschen
Im Dauer-Lockdown habe ich vermisst, unter Menschen zu sein. Etwas von anderen mitzubekommen. Nun sitze ich im Außenbereich eines Restaurants und wünschte, ich wäre alleine. Denn am Tisch vor mir nehmen zwei Halbstarke mit Glatze Platz, die sich bei Bier über die buddhistische Pagode gegenüber aufregen: „Rassisten, mitten in Berlin so’n Chinaschloss aufzustellen!“ Ich versuche, sie zu ignorieren. Aber es gelingt mir nicht. Während sie sich darüber ereifern, dass es solche Pagoden sonst nirgendwo auf der Welt gäbe und diese nur erbaut worden sei, damit „die Deutschen“ sich in ihrem eigenen Land wie Fremde fühlten, laufen mir kalte Schauer über den Rücken.
Vor wenigen Wochen erst habe ich die vietnamesische Community in der Pagode kennengelernt und war äußerst beeindruckt von ihrer Gastfreundschaft. Nun sehe ich die Glatzköpfe vor meinem inneren Auge bereits volltrunken rübergehen und zündeln. Da kommen zwei Frauen an ihren Tisch und sie wechseln das Thema.
Dafür beginnt einer der drei jungen Menschen am Tisch hinter mir zu schimpfen. Seit acht Wochen, schreit er in sein Handy, habe er keinen Lohn bekommen: „Klagen? Dann bin ich doch selbst dran, Mann. Ich arbeite doch schwarz.“
Er endet: „11 Stunden am Tag! Ohne Toilette in diesen Kitteln. Immer Stäbchen in ’n Rachen, Stäbchen in Flüssigkeit! Der Job macht einen echt balla balla! Ich schwör dir: Wenn ich jetzt gehen muss, weil keine Leute mehr kommen, rast ich aus.“
Mir wird klar: Die Drei arbeiten in dem Corona-Testzelt nebenan. In meiner Stamm-Teststation. Kurz spitze ich neugierig meine Ohren. Doch das unfreiwillig Mitangehörte überfordert mich. Also schnappe ich schnell mein Buch und flüchte auf die nächstgelegene Parkbank, weit weg von allen Menschen.
Eva-Lena Lörzer
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