ausgehen! wie Kerzen!

Inmitten eines Meers an Notizen: Friederike Mayröcker ist tot

Ihre Wiener Wohnung ist legendär. Notizbücher, Zettel, Bücher, gestapelt bis zur Decke in den Regalen, auf den Tischen, in Wäschekörben, auf dem Fußboden, sodass die Menschen, die sie porträtierten und besuchten, kaum noch durchkamen. Und zwischendrin saß sie dann, Friederike Mayröcker, schwarze Haare, schwarze Kleidung, wacher Blick bis ins hohe Alter, auf manchen Fotos inmitten dieses Meers an Notizen auch schelmisch lächelnd, eine Bewohnerin der Schrift. Auf ihren vielen Zetteln hielt sie Zwiesprache mit ihren Einfällen und mit den Klassikern, Christine Lavant, Francis Ponge und Samuel Beckett sind Bezugsgrößen, musikalisch Bach, Rameau und Schubert, an Jacques Derrida hat sie sich viel abgearbeitet, und im Band „Pathos und Schwalbe“ träumt sie davon, in Engelszungen zu reden.

Die Anzahl der Bücher, die sie im Verlauf von sieben Jahrzehnten geschrieben hat, darunter auch einige Hörspiele zusammen mit ihrem Lebensgefährten Ernst Jandl, ist unübersehbar. Noch für ihr aktuelles Buch „da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete“ hat sie viel Aufmerksamkeit bekommen. „Entscheidend ist, dass diese Geflechte aus psychodynamischen Strömen nach außen hin keinerlei Zweifel darüber aufkommen lassen, dass sie nach ästhetischen Kriterien geformt sind“, schrieb im Vorfeld des Leipziger Buchpreises, auf dessen Shortlist sie gerade eben noch stand, der Autor Klaus Kastberger in der taz zu dem Band, und weiter: „Das schiebt den Unsäglichkeiten traditioneller Befindlichkeitsdiskurse hier von vornherein einen Riegel vor. Die vielen Bücher der Autorin sind keine Haufen lose hingeworfener Assoziationen. Ganz im Gegenteil: Erst in der Striktheit, mit der hier Formprinzipien eingelöst werden, greift Mayröcker ihrer Leserschaft ans Herz.“

Eine avantgardistische Leserin der eigenen Gefühle, vielleicht war Friederike Mayröcker tatsächlich so etwas. 1924 wurde sie geboren. In den Fünfzigerjahren kam sie in Kontakt zur Wiener Gruppe um H. C. Artmann und Gerhard Rühm. 1969 ließ sie sich von ihrer Arbeit als Lehrerin freistellen und lebte von da an als freie Autorin. 2001 bekam sie den Büchnerpreis.

Und so ermunternd im besten Sinne es immer war, in ihren Büchern zu lesen, wie gerne hätte man die Notate, die in ihnen säuberlich nacheinander angeordnet waren, einmal in ihrem sozusagen natürlichen Umfeld gesehen: nebeneinander, übereinander und durcheinander in dieser Wohnung liegend.

„lasz uns ausgehen! wie Kerzen!,“, steht in dem letzten Band. Und gleichzeitig ist bis zum letzten Eintrag der Wille greifbar, schreibend etwas zum Leuchten zu bringen. Am Freitag ist Friederike Mayröcker im Alter von 96 Jahren in Wien gestorben. (drk)