piwik no script img

„Menstrupedia“ als Waffe gegen Unkenntnis

Indien: Aditi Gupta kämpft mit einem Aufklärungscomic gegen Falsch­informationen und Aberglauben über Menstruation

Es war harte Arbeit und Ungewissheit, aber für Aditi Gupta und ihren Mann Tuhin Paul hat es sich gelohnt. Vor neun Jahren entwickelten sie mithilfe einer Crowdfunding-Kampagne den indischen Aufklärungscomic „Menstrupedia“, der mit Halbwissen um Menstruation aufräumen will.

Als junges Mädchen hatte Gup­ta unter dem Stigma gelitten, während der monatlichen Blutung unrein zu sein. Sie nutzte Stoffreste, da sie sich aus Scham nicht traute, Binden zu kaufen. Besuche in Hindu-Tempeln waren während der Menstruation nicht erlaubt. Bis heute stehen Schilder mit Warnhinweisen, die Frauen einmal im Monat den Eintritt verbieten.

„Das beeinträchtigte mein Selbstbewusstsein und meine Ausbildung“, sagt Gupta. Erst viele Jahre später wurde ihr klar, dass sie, wie Millionen von Mädchen, die jährlich in Indien in die Pubertät kommen, eine Tortur ohne Grund durchmachte: „Weil Mens­trua­tion ein Tabu ist, fehlen Toiletten. Über Regelschmerzen sprechen wir gar nicht. Das Leiden wird als weibliche Tugend gesehen“, sagt die 36-jährige Mutter.

In Guptas Bundesstaat Gujarat dürfen Frauen während der Menstruation teilweise nicht kochen. „Ursprünglich sollte das den Frauen eine Pause von der Hausarbeit verschaffen. Es bedeutet jedoch, Frauen als ‚unrein’ darzustellen“, sagt Gupta.

Ihre Zielgruppe sind nicht nur Mädchen ab neun Jahren, die sie mit sensibler Sprache und Zeichnungen über Körperbewusstsein und Mens­trua­tionsgesundheit aufklärt. „Das kollektive Wissen über die Menstruation muss sich ändern“, sagt sie. In der Vorbereitung für ihren Comic war Gupta bei vielen Familien, um über Menstruation zu sprechen. Sie wurde damals „schamlos“ genannt. Widerstand erfuhr sie in der städtischen Mittelschicht mehr als in Dörfern.

Heute sieht Gupta große Veränderungen. In Filmen, sozialen Medien und bei Come­dians ist die Monatsblutung kein Tabu mehr. Doch noch immer begegnet ihr unglaublicher Aberglaube: Frauen dürften während ihrer Tage ihre Haare nicht öffnen, nicht im Dunklen vor die Türe treten; Corona-Impfungen während der Monatsblutung seien nicht gut. Meist zielen solche Falschinformationen darauf ab, Frauen in ihrer Freiheit einzuschränken, sagt Gupta.

Ihr Comic ist zur Waffe gegen Unkenntnis geworden. Die erste Auflage des 88-seitigen Hefts erschien auf Englisch. Bald folgten Indiens einheimische Sprachen: Hindi, Bengali, Telugu, mittlerweile knapp 20, dazu Portugiesisch, Russisch – und zuletzt Simbabwes wichtigste Landessprache Shona. Die Charaktere passte Guptas Mann für das afrikanische Publikum optisch an.

Gupta hat mit „Menstru­pedia“ bisher über 50.000 Mädchen und Frauen aufgeklärt. In Indien wurden die Hefte in Kooperation mit Organisationen wie dem UN-Kinderhilfswerk Unicef an 10.000 Schulen verteilt. Die Covid-19-Pandemie hat diese Arbeit vor Ort entschleunigt, da Schulen geschlossen wurden. Aditi Gupta, die sich erst kürzlich von einer Corona-Infektion erholte, setzt jetzt auf Kurse mit Pädagogen, Eltern und Kindern.

Zwei weitere Pläne hat sie in diesem Jahr noch. „Wir haben festgestellt, dass ältere Mädchen Jüngere aufklären“, sagt Gupta. So arbeitet sie an einer Smartphone-App für die Großen. Szenen aus dem Comic wurden vertont und lassen sich auf YouTube als Videos finden. Und ihr Mann Paul hat sich mit Jungs auseinandergesetzt, die in die Pubertät kommen. Der nächste Aufklärungscomic ist schon druckreif.

Natalie Mayroth, Mumbai

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen