berliner szenen: Sommer amHavel-Steg
Am ersten heißen Tag dieses Jahres will meine Tochter schwimmen gehen. Ich traue dem Wetter nicht. Mit Blick auf unsere Wintermäntel denke ich: Waren es nicht gerade noch 14 Grad? Als es aber immer wärmer wird, suche ich unsere Badesachen zusammen und mache mit ihr eine Radtour zu einem abgelegenen Steg mit Havel-Zugang. Zu meinem großen Erstaunen herrscht auf dem Wasser Hochbetrieb: Eine Gruppe junger Erwachsener macht eine Ruderboot-Regatta. Familien und Freunde fahren in Schlauchbooten und Kanus an uns vorbei und Jugendliche mit Rucksäcken voller Getränke und Snacks haben Motorboote in Partyinseln verwandelt. Während meine Tochter sich in die kalte Flut stürzt, beobachte ich ungläubig das Treiben auf dem Wasser und denke: als sei der Sommer abrupt auf den Herbst gefolgt.
Nicht lange und auch unser Steg füllt sich mit Leben. Erst befestigt eine Frau ihr Kanu an dem Steg, dann legen sich zwei Teenager*innen und noch eine Frau neben uns. Binnen einer halben Stunde ist der Steg voll. Erst habe ich den Impuls, eine andere Stelle zu suchen. Meine Tochter aber ist begeistert, so viele Fremde um sich zu haben, und sucht das Gespräch: „Das Wasser ist nicht kalt, kommt rein! Meine Mutter ziert sich noch. Ich kann also Unterstützung brauchen!“
Sie plappert und plappert. Nach einer Weile sagt eine der Frauen grinsend zu ihr: „Du hast vielleicht Wörter!“ Ich mache Anstalten, ins Wasser zu gehen, und meine: „Das kommt vom Lockdown. Sie war die ganze Zeit über nur von Erwachsenen umgeben.“ Die Frau meint nachdenklich: „Ach ja. Der Lockdown.“ Und fragt dann: „Ist denn jetzt eigentlich kein Lockdown mehr?“ Eines der Teenagermädchen ruft: „Nee, jetzt ist endlich wieder Sommer!“, und macht einen Köpper ins Wasser.
Eva-Lena Lörzer
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