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Der Hundertsassa

Manuel Neuer bestreitet beim EM-Test gegen Lettland sein 100. Länderspiel. Langfristig wird der DFB auf der Torhüterposition ein großes Problem haben

Aus Seefeld Frank Hellmann

Natürlich gehören auch Tennisplätze zum prächtigen Teamhotel der deutschen Nationalmannschaft auf dem Seefelder Hochplateau. Wieder so ein Moment, erzählte Ersatztorhüter Bernd Leno beim virtuellen Medientag, dass er den Kollegen Neuer auf einem anderen Niveau erwischte. „Das war Profilevel.“ Bei einem Teamturnier wäre der Keeper und Kapitän sicher der Topgesetzte.

Dass das Multitalent Neuer über allen anderen thront, ist grundsätzlich keine neue Erkenntnis. Vor dem 100. Länderspiel der Nummer eins bei der EM-Generalprobe gegen Lettland in Düsseldorf (Montag, 21 Uhr/RTL) überschlagen sich diejenigen mit Komplimenten, die täglich mit ihm arbeiten. „Mich macht das sehr stolz“, sagt Bundestorwarttrainer Andreas Köpke, der sich noch an das Freundschaftsspiel am 2. Juni 2009 in den Vereinigten Arabischen Emiraten erinnert, als der junge Mann vom FC Schalke 04 debütierte.

Wenn die Ersatzleute Leno und Kevin Trapp über Neuer sprechen, klingt durch, wie viel besser der 35-Jährige immer noch ist. Neuer sei „gefühlt 25“, findet Leno, besitze noch immer einen „blitzschnellen Instinkt“. Der 29 Jahre alte Keeper vom FC Arsenal erspäht nicht mal in der Premier League einen Besseren, auch die brasilianischen Ballfänger Ederson (Manchester City) oder Alisson (FC Liverpool) würden da nicht heranreichen, Neuer sei „noch ein Stück kompletter“. Trapp, 30, von Eintracht Frankfurt ist beeindruckt von seiner „positiven Präsenz, man hat nie das Gefühl, dass er nicht von sich selbst überzeugt ist.“

„Der beste Torwart, den ich je gesehen habe. Punkt!“, rief Rückkehrer Mats Hummels im Trainingslager aus. „Ich habe nicht vor, meine Nationalmannschaftskarriere zu beenden“, lautete Neuers Botschaft in den Tiroler Bergen. Das DFB-Trikot will der gebürtige Gelsenkirchener auch in Zukunft anziehen, „wenn es mir gut geht“. Und genau wie Bundestrainer Joachim Löw („immer offen, ehrlich, und kommunikativ, sehr positiv eingestellt und extrem professionell“) schätzt auch Nachfolger Hansi Flick die Führungsqualitäten eines Ausnahmekönners, der sicher bis zur Heim-EM 2024 auf höchstem Niveau halten kann.

Keine guten Nachrichten für Kronprinz Marc-André ter Stegen vom FC Barcelona, dem ein medizinischer Eingriff das Bankdrückerdasein bei dieser EM erspart. Dem 29-Jährigen läuft allmählich die Zeit davon. Dass auch ter Stegen Titel für Deutschland gewinnen kann, hat er 2017 beim Confed Cup bewiesen. Daher mutet es auf den ersten Blick kurios an, dass der Verband ausgerechnet diese Paradeposition langfristig als Problemzone ausgemacht hat. Die Akademie mit Leiter Tobias Haupt, einen ehemaligen Torhüter, hat jedoch nicht grundlos das Projekt „N_28“ aufgelegt.

„Man hat nie das Gefühl, dass er nicht von sich selbst überzeugt ist“

Kevin Trapp über Manuel Neuer

Hinter dem Code verbirgt sich die Suche nach dem Nationaltorwart im Jahr 2028. Denn im Nachwuchsbereich sieht es längst nicht mehr rosig aus. Vor allem die Spielpraxis fehlt. Bestens zu besichtigen bei der U21-Nationalmannschaft: Stammtorwart Finn Dahmen, 23, hat ganze drei Bundesligaspiele für den FSV Mainz 05 bestritten, Lennart Grill, 22, für Bayer Leverkusen nur vier Mal gespielt, und Markus Schubert, 22, für den FC Schalke 04 und Eintracht Frankfurt vergangene Saison keine einzige Minute.

Das Land der Torhüter droht seinen Status zu verspielen, zumal die internationale Konkurrenz bei der Ausbildung längst aufgeholt hat, wie der steigende Anteil von ausländischen Stammkeepern in der Bundesliga belegt. DFB-Torwartkoordinator Marc Ziegler hat umfangreiche Analysen angestellt, um die nächsten Jahre wieder gegenzusteuern. In den vergangenen sechs, sieben Jahren, findet Köpke, „ist gar nicht so viel schiefgelaufen“. Er habe aber auch „ein bisschen Bauchschmerzen, dass die Jungs zu wenig spielen“.

Torwarttalente in anderen Ländern sammeln deutlich mehr Einsatzzeiten. Wie der Italiener Gian­luigi Donnarumma, der mit 22 Jahren auf mehr als 200 Serie-A-Spiele für den AC Mailand und 25 Partien für die A-Nationalmannschaft kommt. Das setzt Vertrauen der Trainer voraus. Mitunter stehen sich die Hoffnungsträger mit ihrer Karriereplanung aber selbst im Wege. Prominentestes Beispiel: Alexander Nübel, 24, herausragend in seiner Jahrgangsstufe, hat sich mit den Bayern ausgerechnet jenen Verein ausgesucht, bei dem der beste Torhüter und Tennisspieler im deutschen Profifußball langfristig unter Vertrag steht.

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