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: Das Zuviel steht
ihm sehr gut

„Rosen blühen auf dem Heidegrab“ (BRD 1952, Regie: Hans H. König). Die DVD ist ab rund 16 Euro im Handel erhältlich.

Schaurig ist’s, übers Moor zugehen, schauriger noch, darin zu versinken. Das ist es, was einer Frau namens Wilhelmina widerfuhr, vor langer Zeit, im Dreißigjährigen Krieg. Sie wurde beim Überfall auf das Dorf in der Heide vergewaltigt, führte den Täter ins Moor, wo sie beide versanken, verschwanden. Nie wurde die Leiche gefunden, ein riesiger Stein kündet davon, es blühen Rosen darauf, daher hat der Film seinen Titel, ein Heimatfilm der sehr eigenen Art, der in der Gegenwart (des Jahres 1952) spielt, sich aber für einen nebelverhangenen Flashback mit wilden Reitern und schnatternden Gänsen zurück in die Kriegszeit bewegt.

In der Jetztzeit lebt Dorothee in der Heide, von Ruth Niehaus gespielt, einem der großen deutschen Stars der fünfziger Jahre, der Frau, die Orson Welles nach Hollywood holen (und heiraten) wollte, die aber in Deutschland blieb und vor allem im Theater reüssierte, wo sie in Düsseldorf bei Gründgens, in Hamburg bei Oscar Fritz Schuh, an der Burg und anderswo so ziemlich alle großen Frauenrollen gespielt hat.

Dorothee ist eine Nachfahrin Wilhelminas, deren Schicksal sich an ihr zu wiederholen scheint, denn auch sie wird von einem Mann, dem korpulenten Bauern Dietrich Eschmann (Walter Schomberg, ein großer Theaterschauspieler auch er), bedrängt, der sie begehrt, der sie heiraten will. Nach Ansicht von Dorothees Eltern wäre er auch eine gute Partie.

Jedoch: Da ist Ludwig, von Armin Dahlen gespielt, der sonst im deutschen Heimatfilm eher den Naturburschen gibt. Hier aber ist er geradezu die Verkörperung von Zukunft und Stadt. Anfangs kommt er als neumodischer Architekt, der das Dorf und die Heide hinter sich ließ, in seinem Käfer aus Hamburg gebraust, die Großstadt kommt allerdings nur in wenig überzeugenden Rückprojektionen ins Bild. Dafür ist der Rest vor Ort gedreht, sind das Dorf und die Heide, der Bauernhof und die Kneipe real, ein Wirtshaussaal in Worpswede diente als improvisiertes Atelier, das verleiht allem eine Vor-Ort-Haftigkeit, die mehr als Lokalkolorit ist, und es gibt der mythenverhangenen Geschichte eine sehr gute Erdung.

Ludwig hat die Wohnung, in der Dorothee und er leben können, als Architekt schon entworfen. Ein Schlafzimmer gibt es darin nicht, was soll ein Raum, der den ganzen Tag über nicht genutzt werden kann. Mit diesem Zuviel an Rationalität kontrastiert im Film das brutale Begehren des Heidebauern Eschmann.

Szenen im Moor, Bilder vom Heidegrab Wilhelminas, das alles oft gekonnt bedrohlich von unten gefilmt, mit Nebel und spätexpressionistischem Hell-Dunkel-Schwarz-Weiß. Selbst als düsteres Melodram ist das eher drüber, auch die orchestrierte Musik hält sich im Ausdruck sehr ausdrücklich nicht zurück. Alles ein wenig too much, aber das Too-much steht dem Film außerordentlich gut.

Dazu kommt die doppelte Spannung, unter und in der er steht. Es muss auf ein Finale hinauslaufen, in dem Dorothee, ihrer Vorfahrin Wilhelmina hinterher, ihren Vergewaltiger ins Moor führt, wo sie sinken (aber: wie tödlich, wie tief?). Damit ist aber auch die Frage an den Film selbst gestellt, der ohnehin Welten von jeder Heimatgemütlichkeit entfernt spielt: Verfällt er selbst der Schicksalsmythe (oder: wie weit, wie tödlich, wie tief?), die er sich im Motiv der Wiederholung, in der Doppelfigur Dorothee/Wilhelmina als Falle aufgestellt hat?

Weil die Oberflächenspannung der Tiefenspannung so sehr entspricht, weil Regisseur und Autor Hans H. König (interessanter Mann, aber es ist ihm nichts dergleichen noch einmal gelungen) das so überzeugend und auch in vielen Details hinreißend arrangiert, ist „Rosen blühen auf dem Heidegrab“ ein Film, wie es ihn im deutschen Kino der fünfziger Jahre nicht noch einmal gibt. Ekkehard Knörer