Neosachlicher Einzelgänger

Mit großer Sicherheit durch die Stile: Die Kunsthalle Kiel stellt den weitgehend unbekannten Lübecker und Sylter Maler Albert Aereboe (1889–1970) vor

Breitbeinig wie ein echter Kerl – und umso verletzlicher wirkend: Albert Aereboe auf seinem Selbstbildnis von 1916 Foto: Abb.: Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf

Von Frank Keil

Sehr breitbeinig sitzt er da. Die Arme aufgestützt, Farbpalette und Pinsel fest im Griff. Und wirkt doch auf verblüffende Weise feminin und verletzlich mit dem schmalen Gesicht, den hohen Wangenknochen und dem geschminkten Mund. Hinter ihm: zitierte Bilder des französischen Malers und Grafikers Henri de Toulouse-Lautrec, wie lose an die Wand gepinnt. Nach dem Motto: Kenn’ich, liegt hinter mir.

„Selbstbildnis“ heißt das Porträt des Lübecker Künstlers Albert Aereboe (1889–1970), dessen Werke derzeit die Kieler Kunsthalle präsentiert. Als er das Bild 1916 malte, studierte er gerade in München Malerei an der Akademie der Künste. Erprobte sich, geprägt von der Formensprache des Jugendstils und des Symbolismus; fand zu Porträts, Stillleben und Alltagsszenen, die in Gestus und Farbführung an Egon Schiele oder den Schweizer Autodidakten Ferdinand Hodler erinnern.

Aereboe, dessen Vorfahren von der dänischen Insel Aerø stammen, malt mutig grob; zuweilen sind die Farbaufträge wie gespachtelt: „Er sucht immer wieder die Selbstvergewisserung“, sagt Anette Hüsch, Leiterin der Kunsthalle, „er malt sich mit großer Sicherheit durch die Stile, bleibt dabei immer im Gegenständlichen und bleibt Zeit seines Lebens sehr für sich.“

Dass er nun in Kiel ausgestellt wird, hat lokale, historische und künstlerische Gründe: Ab den 1920er-Jahren pflegte die Kunsthalle Kontakt zu dem nach Lübeck zurückgekehrten Aereboe, sammelte einiges, verfolgte seinen künstlerischen Weg. 1936 kaufte das Haus seinen runden „Einsiedler“; Aereboes wohl wichtigstes Bild ist nun auch in dieser Ausstellung zentral.

Einer, der sich raushielt

Gut möglich, dass der Name Albert Aereboe erst einmal unbekannt ist. Denn er gehörte keiner der damals angesagten Künstlergruppen an, bot keine Skandale, fiel nicht durch programmatische Schriften auf, die irgendetwas Neues einläuten. Aereboe blieb lieber für sich und hielt sich aus kulturpolitischen Kontroversen heraus. Auch Persönliches weiß man nur wenig – schon, wie viele Geschwister er hatte, ist offen; es sollen einige gewesen sein. Er selbst hat keine Kinder hinterlassen, also auch keine Enkelkinder, die berichten könnten.

So bleibt er rätselhaft, dieser Sohn Carl Aereboes, eines Pastors und Diakons am Lübecker Dom. Es gibt Hinweise, dass Albert als Heranwachsender gern eine musikalische Ausbildung genossen hätte. Doch auch wenn ein Pastor damals nicht schlecht verdiente – die Familie war groß, das Gehalt am Monatsende aufgebraucht.

Also lernte der Sohn mit 17 Jahren Kirchendekorationsmaler in Berlin, kehrte nach Lübeck zurück, setzte seine Ausbildung für Profan- und Kirchenkunst fort, bis er in München das Studium der freien Malerei aufnahm. Und damit der allein dekorativen Ausgestaltung verließ: Im Bild „Dame auf grünem Sofa“ etwa schaut uns auf einem hellbraunen Sofa eine junge Frau im grünen Kleid skeptisch an, die Hände hinter dem Nacken verschränkt.

Beinahe naiv an Picasso geschult: „Masken“, entstanden um 1960 Foto: Sönke Ehlert

Erste Ausstellungserfolge stellten sich ein, nachdem er von der Ostfront des Ersten Weltkrieges zurückgekehrt war. Die Kunstsammlerin und Kunstkritikerin Rosa Schapire schrieb 1919 anlässlich seiner ersten Einzelausstellung in Hamburg wohlwollend: „In seinem Schaffen, heute mehr Versprechen als Erfüllung, liegt ein in die Zukunft weisendes Element.“ Das müssen auch andere so gesehen haben, weshalb ihn die Kasseler Kunstgewerbeschule 1920 als Lehrer für dekorative Malerei anheuerte. Er lernte dort Julie Katz kennen, auch sie Lehrerin, für das Feld zuständig, das man gern für Künstlerinnen bereit hielt: textile Gestaltung.

1922 heirateten die beiden, wurden im folgenden Jahr beide mit Professuren bedacht. Drei Jahre später – ein radikaler Schnitt: Das Paar kündigte, baute mithilfe einer kleinen Erbschaft in List auf Sylt ein Arbeits- und Atelierhaus nach eigenen Entwürfen: sie wollten wieder ausschließlich freischaffend arbeiten.

In jenen Jahren vollzog sich in Aereboes Malerei ein Bruch: Er wandte sich dem Magischen Realismus zu, malte nun fast altmeisterlich, spielte mit Illusionen, bestückte seine Bilder mit Anspielungen aus der Kunstgeschichte. „Neusachlich“ nannte er seinen Stil; malte akribisch, zuweilen fast fotografisch statt so wild, gestisch und expressiv wie in seinen Anfangsjahren.

Im März 1927 starb Julie Aereboe-Katz überraschend, möglicherweise an letzten Ausläufern der Spanischen Grippe. Die bereits verabredete Doppelausstellung in der Kieler Kunsthalle, die beide vorstellen sollte, wurde im Jahr darauf zur Gedenkausstellung.

Albert Aereboe blieb zunächst auf Sylt wohnen, suchte den Verlust seiner Frau und Kunstpartnerin zu verwinden, malte das Bild „Julies blauer Malkittel“: ihr Malkittel, eben, ihre zertretenen Hausschuhe – und die Gebrauchsanweisung für die neue Heizung, die das geplante Heim erwärmen sollte. Während der Folgejahre lebte er mit der Schwester seiner Frau zusammen, pendelte immer wieder nach Berlin. 1939 verkaufte er sein Sylter Haus, auch wenn es ihn immer wieder auf die Insel zog; ein Atelier hatte er nun in Berlin am Schöneberger Ufer.

Dekoratives fürs NS-Ministerium

Aereboes vielleicht zentrales Bild: „Der Einsiedler“ aus dem Jahr 1927 spielt mit Illusion und Kunstgeschichte Foto: Sönke Ehlert

Eine Reihe recht ordentlicher Landschaftsaquarelle zeugt davon. Bekannt ist, dass er während des „Dritten Reichs“ in der Reichskulturkammer blieb, sich mit Porträt- und Auftragsarbeiten seinen Lebensunterhalt verdiente und auch dekorative Arbeiten für das Reichsluftfahrtministerium fertigte. „Es finden sich keine Hinweise, auch im Nachlass nicht, dass er den Nationalsozialisten gedanklich nahe stand“, sagt Kunsthallen-Leiterin Hüsch.

1943 zerstörte ein Bombentreffer nicht nur sein Atelier und einige Arbeiten: Auch fast der gesamte künstlerische Nachlass seiner Frau ging in Flammen auf, sodass davon nur ein paar Fotos blieben. Die liegen in Kiel jetzt in einer Vitrine; anrührend, zumal wenn man ihre Geschichte kennt.

Auf zuweilen fast naive Weise schulte sich Aereboe in den Nachkriegsjahren an Picasso neu; malte nun farbflächig, erprobte das Zerlegen von Formen und Figuren, wollte sich aber nicht vom Gegenständlichen trennen. Er wurde Mitglied der „Gruppe 56“, die lokale KünstlerInnen aus Schleswig-Holstein vereinte und bis 1966 bestand.

Das alles zeigt die Kieler Retrospektive mit leichter Hand. Wer im Herbst 2019 die Kunsthallenausstellung zu der Berliner Malerin Lotte Laserstein (1898–1993) sah, wird nun etwas Vertrautes wiederfinden: einen ehrlichen, angenehm freundlichen Blick auf ein besonderes Künstlerleben. Dem man mit großer Freude nachspürt – egal, ob man Aereboe in seinen Werkphasen ästhetisch jeweils folgen mag.

Zauber der Wirklichkeit – Der Maler Albert Aereboe: bis 5. September, Kunsthalle zu Kiel