: Deutschland: Per Video
Endlich ein Anlass, sich schick zu machen – auch für die Familie in Bosnien
Aus Berlin Atessa Bucalovic
Früher hat meine Familie das Fasten zu Hause gebrochen, später haben wir die Zusammenkunft mit Freunden und Familie in Restaurants verlegt – um auch jene einzubeziehen, die nicht fasten. Denn der Ramadan steht vor allem für Geselligkeit. Nicht umsonst heißt es zu dieser Zeit in Bosnien, dem Heimatland meiner Eltern: „Bujrum nam dragi gost“, was übersetzt so viel heißt wie „Willkommen bei uns, lieber Gast“.
In diesem Jahr sind die Restaurants in Deutschland wegen der Coronapandemie geschlossen, deshalb findet das Fastenbrechen wie früher wieder zu Hause statt. Die Mahlzeiten nehmen wir auch oft über Videochat zusammen ein. Jene Familienmitglieder, die nicht fasten, essen dann vor der Kamera eben ein zweites Mal zu Abend. Während wir sonst alle seit Monaten in Jogginghosen herumlaufen, haben wir jetzt endlich einen Grund, uns herauszuputzen. Meine Mutter kramt ihre Perlen raus, mein Vater zieht ein Sakko an und meine Großtante setzt ihre beste Perücke auf.
Auch meine Familie in Bosnien macht sich schick. Meine Großtanten schicken in der Familien-Whatsapp-Gruppe Fotos ihrer bunt-glitzernden Kopftücher, während sie auf dem Weg zum Abendgebet sind. In Bosnien öffnen die Moscheen zumindest für verkürzte Gebete ihre Türen.
Zwar könnten meine Eltern und ich auch in Berlin für das Abendgebet in die Moschee gehen. Stattdessen haben wir uns dagegen entschieden – und verfolgen die Gebete nun im bosnischen Fernsehen oder über Livestreams auf Youtube. Der Andrang ist während des Ramadan einfach zu groß, die Ansammlungen während der Pandemie zu gefährlich.
Wer nicht fasten kann oder will, kann spenden. Dieses Jahr fließt wie schon im Vorjahr Geld an Bedürftige, die besonders von der Coronapandemie betroffen sind – sei es durch eine Erkrankung oder durch den Verlust der Arbeit. Denn beim Ramadan geht es nicht nur darum, tagsüber auf Essen und Trinken zu verzichten. Dieser Monat steht für Reflexion, spirituelles Wachstum, Gemeinschaft und Nächstenliebe.
Der gemeinsame Verzicht bringt uns in der Einsamkeit der Pandemie wieder näher zusammen. „Während des Ramadan ist die Atmosphäre besonders“, sagt meine Mutter. Dabei strahlt sie über das ganze Gesicht. Vielleicht war es noch nie so einfach, sich selbst nach innen zu wenden, wenn im Außen so wenig passiert wie in der Coronapandemie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen