Die Liste knarzt

Gute Bücher, insgesamt fragwürdige Auswahl: die Nominierten für Leipzig

Okay. Da haben wir jetzt auf der einen Seite die interessanten literarischen Ansätze und Debatten dieses Frühjahrs: Identität, Sprechweisen, Klassismus, Rassismus. Und auf einer ganz anderen Seite, wirklich wie davon unberührt, haben wir diese Liste der für den Leipziger Buchpreis nominierten literarischen Autor*innen, die ein Kunststück vollbringt: Es stehen ausschließlich jeweils in sich sehr eigene bis großartige Bücher drauf (mit gewissen Abstrichen bei Christian Kracht), und doch strahlt sie insgesamt etwas Debattenanschlussfreies, fast schon Knarzendes aus. Der deutschsprachige Literaturbetrieb öffnet sich gerade, doch diese Liste macht die Schotten dicht.

Was nicht gegen die einzelnen Bücher sprechen soll. Iris Hanika mit „Echos Kammern“, Judith Hermann mit „Daheim“ (wo sie übrigens einen schönen neuen Ton in ihrem Werk anschlägt), Friederike ­Mayröcker mit „da ich morgens und moosgrün …“ sowie Helga Schubert mit „Vom Aufstehen“, das sind vier ganz unterschiedliche Schreibansätze von Autorinnen. Dazu kommt Christian Krachts „Eurotrash“ als vermeintlicher Roman der Saison. Jedes Buch mindestens diskutabel, doch insgesamt hat das etwas, als wenn sie Gerhard Richter und Norbert Bisky als richtungsweisende Stars auf der nächsten documenta verkaufen würden. Lustigster Kommentar in den sozialen Medien bis zum Redaktionsschluss: „Angesichts dieser Liste muss man doch sagen: Sie haben Martin Walser vergessen.“

Bei den Sachbüchern sind Heike Behrend mit „Menschwerdung eines Affen“, Dan ­Diner mit „Ein anderer Krieg“, Michael Hagner mit „Foucaults Pendel“, Christoph Möllers mit „Freiheitsgrade“ sowie Uta Ruge mit „Bauern, Land“ nominiert, was ein breit gefächertes Spektrum ohne erkennbare inhaltliche Gesamtausrichtung bietet. Mit der Nominierungsliste des in diesem Jahr erstmals verliehenen Deutschen Sachbuchpreises gibt es zwei Überschneidungen: Heike Behrend und Christoph Möllers finden sich auch auf dieser Liste. Und bei den Übersetzungen sind Ann Cotten, Hinrich Schmidt-Henkel, Timea Tankó sowie die beiden Über­set­ze­r*in­nen­teams Sonja Finck und Frank Heibert sowie Nikolaus Stingl und Dirk van Gunsteren berücksichtigt.

Die Leipziger Buchmesse fällt dieses Jahr aus den bekannten Gründen aus, und so wird der Leipziger Buchpreis erst am 28. Mai verkündet, immerhin nicht nur im Radio wie 2020, sondern im Rahmen einer richtigen Preisverleihung in der Kongresshalle am Leipziger Zoo. (drk)