: Sollen Asylbewerber Hartz IV bekommen?
FLÜCHTLINGE Asylbewerber erhalten derzeit 40 Prozent weniger als Hartz-VI-Empfänger. Darüber urteilt nächste Woche das Bundesverfassungsgericht
Die sonntazfrage wird vorab online gestellt. Immer ab Dienstagmittag. Wir wählen bis Donnerstag eine interessante LeserInnen-Antwort aus und drucken sie dann in der sonntaz. www.taz.de/streit oder www.facebook.com/taz.kommune
Ja
Unser Autor wurde in Syrien politisch verfolgt und möchte anonym bleibenIch bekomme nach dem Asylbewerberleistungsgesetz 145 Euro und 49 Cent monatlich in Form von Lebensmittelgutscheinen. Strom und Miete des Flüchtlingsheims zahlt das Sozialamt separat. Dazu kommt noch ein Kleidergutschein alle sechs Monate über 92 Euro. Ich kaufe keine teuren Lebensmittel, aber ich habe es noch nie geschafft, dass das Geld bis zum Ende des Monats reicht. Dann lade ich mich bei meinen Mitbewohnern zum Essen ein. Bar erhalte ich 40 Euro pro Monat. Davon zahle ich meine Telefonkosten, um mit Ämtern und Ärzten zu telefonieren. Hin und wieder leiste ich mir eine Stunde Internetcafé. Wenn wir als Asylbewerber den Hartz-IV-Regelsatz bekämen und dazu die Erlaubnis, uns Arbeit zu suchen, dann hätten wir bessere Möglichkeiten, uns zu integrieren. Viele Flüchtlinge werden psychisch krank und labil, weil sie jahrelang keine Aufgabe haben. Man verliert die Lebenskraft. Ich möchte für dieses Land etwas Gutes bewirken. Ich möchte, dass ich meine Kräfte und Fähigkeiten einsetzen darf.
Heribert Prantl, 58, Ressortleiter bei der Süddeutschen Zeitung, engagiert sich für Pro Asyl Das Asylbewerberleistungsgesetz lügt. Es lügt schon im Titel. Es ist in Wahrheit ein Asylbewerberleistungsausschlussgesetz. Sinn dieses Gesetzes ist es nämlich, dass Flüchtlinge von staatlichen Sozialleistungen möglichst weitgehend ausgeschlossen werden. Sie erhalten ganz erheblich weniger als das Existenzminimum. Als das Existenzminimum für einen Menschen gelten in Deutschland die Leistungen nach Hartz IV. Flüchtlinge sind aber offenbar vor dem Gesetz nur halbe Menschen. Diese Halbierung des Menschen hat natürlich nichts mit dem tatsächlichen Bedarf, sondern nur etwas mit der sogenannten Anreizminderung und der Nationalität zu tun. Mit dem Existenzminimum spielt man nicht. Wenn es das Existenzminimum in Deutschland ist, dann gilt das für alle Menschen, die in Deutschland leben. Es gibt nur ganze Menschen, nicht halbe. „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“, heißt es im Grundgesetz. Und: „Niemand darf wegen seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Heimat und Herkunft benachteiligt oder bevorzugt werden“. Diese Sätze sind klar und eindeutig. Sie dürfen nicht Schall und Rauch sein. Von Schall und Rauch kann kein Gemeinwesen leben. Flüchtlinge können das auch nicht.
Volker Beck, 51, ist menschenrechtspolitischer Sprecher der Grünen im BundestagSeit es 1993 beschlossen wurde, haben wir Grünen das Asylbewerberleistungsgesetz aus menschenrechtlichen Erwägungen kritisiert. Denn es führt zu einer diskriminierenden Absenkung von Sozialleistungen für Asylsuchende, Geduldete und Bleibeberechtigte. Spätestens seit der Entscheidung des Verfassungsgerichts zu den Leistungen nach SGB II („Hartz-IV-Gesetz“) ist klar: Die Beträge sind nicht nur viel zu niedrig und erfüllen nicht den verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, sie sind auch willkürlich festgesetzt worden. Aus unserer Sicht muss das Existenzminimum nicht nur für Deutsche gelten, sondern für alle Menschen in Deutschland. Wir Grünen fordern seit langem die Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Die Bundesregierung hat zwar eingestanden, dass die Leistungssätze des Asylbewerberleistungsgesetzes verfassungswidrig sind, unternommen hat sie seitdem aber nichts.
Nein
Michael Kleinhans, 63, arbeitet im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge*Die Asylbewerberzahlen sind seit dem Jahre 2007 stark angestiegen. Das heißt also, dass Deutschland enorm attraktiv für Asylbewerber ist. Unsere Erfahrung ist es, dass diese Entwicklung sehr mit den Sozialleistungen zusammenhängt. Wenn wir die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhöhen würden, wäre das ein noch größerer Anreiz, zu uns zu kommen. Die politische Akzeptanz dürfte bei Inländern generell ohnehin eher gering ausfallen, wenn langjährige Erwerbstätige und Steuerzahler dem gleichen Leistungsniveau unterworfen würden wie Personen, die gerade erst eingereist sind. *Im Bundesamt wollte niemand einen Gastbeitrag in der taz zu dieser Frage schreiben. Wir haben diesen Beitrag daher aus den Stellungnahmen von Michael Kleinhans vor dem Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales im Februar 2011 zusammengestellt.
Michael Frieser, 48, ist Integrationsbeauftragter der CDU/CSU-FraktionNein. ALG II und Leistungen für Asylbewerber haben unterschiedliche Ziele. ALG II soll erwerbsfähige leistungsberechtigte Personen bei der Eingliederung in Arbeit unterstützen. Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz hingegen sollen die Existenz sichern. Dazu werden Leistungen für Unterkunft, Hausrat, Heizkosten, medizinische Versorgung sowie individuelle Sonderbedarfe erbracht. Auch die Leistungen des „Bildungspakets“ werden gewährt. Der notwendige Bedarf soll dabei grundsätzlich mit Sachleistungen gedeckt werden. Dies ist keine Schikane, sondern teilweise notwendig, um Missbrauch einzudämmen. So werden Schlepper abgeschreckt, die die Situation von verzweifelten Menschen ausnutzen und sie um hier gezahlte Geldmittel erpressen.
Anette Kramme, 44, ist Sprecherin der SPD im Bundestag für Arbeit und SozialesWir wollen die Geltung des Asylbewerberleistungsgesetzes begrenzen. Die Dauer wollen wir wieder auf die ursprünglich beabsichtigten zwölf Monate verringern. Sofern jemand sich danach nicht selbst versorgen kann, muss das normale Sozialsystem greifen. Und künftig sollen nur noch Asylbewerber und Geduldete darunter fallen und Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen in die sozialen Regelsysteme integriert werden. Einen Antrag dazu stimmen wir momentan fraktionsintern ab und werden ihn nach der Sommerpause in den Bundestag einbringen.
Maik Niemann, 23, Hauswirtschafter, hat die Frage auf Facebook kommentiert Warum sollten Asylbewerber Hartz IV bekommen? Wofür? Asylbewerber müssen beziehungsweise dürfen keine Arbeit annehmen; es wäre daher unfair den Arbeitslosen gegenüber, die für die gleiche Leistung eine Gegenleistung erbringen müssen. Das wäre kontraproduktiv und würde den Ausländerhass nur verstärken. Viel eher sollte Deutschland helfen, in den Ländern, aus denen die Asylbewerber kommen, lebenswürdige Verhältnisse für die dort lebenden Menschen zu schaffen. Das wäre für alle das Beste.