: Für uns sinnliche Sonderlinge
Ein wenig Wärme im Social Distancing: Der charmante Elektropop der Musikerin Juliana Martínezalias Servicio al Cliente bringt ein bisschen Leichtigkeit in diesen Lockdown-Frühling
Von Stephanie Grimm
Ein Huhn, das durch einen Strohhalm Kaffee nuckelt. Oder ist es eine Pfeife, an der das Federvieh zieht? Egal, der Blick schweift schon weiter, zu der Tüte Eis, aus der es langsam heraustropft. Wer die Website der Musikerin Juliana Martínez alias Servicio al Cliente ansteuert, entdeckt dort hübsche, leicht surreale Details – neben dem charmantem Elektropop mit spanischem Gesang, der melodiös und zugleich abstrakt klingt: naiv, aber eben auch ein bisschen schräg.
Einer der Tracks auf „Servicio al Cliente“, Martínez’ erstaunlicher Debüt-EP, heißt „Sensual Esperpento“, was so viel bedeutet wie „sinnlicher Sonderling“. Damit ließe sich auch die Anmutung dieses Musikprojekts beschreiben, wenn die Konnotation des deutschen Begriffs „Sonderling“ nicht zu negativ klänge für so sympathisch verspulte, entspannte Tracks.
Und sind wir nicht alle langsam sinnliche Sonderlinge, im Jahr zwei dieser vermaledeiten Pandemie? Da kommen Songs wie diese gerade recht, um Synapsen neu zu verschalten und ein bisschen luftige Wärme ins Social Distancing zu bringen.
Seit 2007 lebt Martínez in Berlin, ursprünglich stammt sie aus der kolumbianischen Großstadt Bucaramanga. Noch in ihrer Heimat hatte die 41-jährige in einem Synthesizer-Bass-Duo namens Las Palabras Correctas gespielt und die Musik für sich „als Raum entdeckt, in dem ich mich sehr wohlfühle“. Wenig später ging sie im Rahmen eines Postgraduate-Studiums nach Spanien. Eigentlich, so dachte sie damals, habe sie mit dem Umzug auf einen anderen Kontinent die Musik an den Nagel gehängt – nicht zuletzt weil sie ihr Equipment in ihrer Heimat zurückgelassen habe.
In Berlin landetet sie dann der Liebe wegen. Dass sie sich zudem auch in die Stadt verliebt hat, daran hatte auch der Sound Berlins seinen Anteil. Der klang in den nuller Jahren deutlich mehr nach Minimal Techno als heutzutage. „Ich liebe deutsche elektronische Musik. Schon als Teenager fand ich all diese seltsamen Bands wie Can oder Kraftwerk großartig.“ Der Plattenladen, der zu dem im Technokontext stilprägenden Kölner Label Kompakt gehört, war dann auch eine der ersten Adressen, die sie ansteuerte, als sie zum ersten Mal in Deutschland war.
Es sollte trotzdem ein Jahrzehnt vergehen, bis sie selbst wieder zum Musikmachen fand. Vor fünf Jahren schaffte sie einen Synthesizer an und begann, abends nach ihrem Bürojob damit zu experimentieren. „Langsam habe ich an Kompositionen gearbeitet und Songs aufgenommen; es hat gedauert, bis ich zu meinem Sound gefunden hatte.“ Trotz ihrer Begeisterung für eher abstrakte Soundwelten klingt ihre Musik verspielt, wenig technoid und verströmt eine vintagemäßige Wärme.
„Modest“ ist ein Wort, mit dem sie ihre Herangehensweise im Telefoninterview des Öfteren beschreibt. „Ich fand immer, dass meine Musik modest klingen sollte, damit sie mir entspricht.“ Unter den vielen Bedeutungen, die bei „modest“ mitschwingen, trifft es vielleicht „unprätentiös“ in ihrem Fall am besten – oder „zurückhaltend“. „Auch wenn ich versuche, in eine elektronischere Richtung zu gehen“, erzählt Martínez, „kommt etwas eher Romantisches heraus, bei dem auch meine Liebe zu südamerikanischer Musik durchscheint.“
Dass die Öffentlichkeit ihre Musik – zur Hälfte sind die sechs Songs der EP im Laufe des vergangenen Jahres entstanden – nun kennenlernen darf, liegt auch daran, dass Martínez’ Vater im letzten Jahr starb. „Irgendwie wollte ich nach diesem schweren Verlust nicht so wie bisher weitermachen“, erklärt sie. „Ich entschied mich, mal ein bisschen mutig zu sein.“
Bis dato habe sie ihre Musik eher als ihren privaten Rückzugsort empfunden. In dem, so erklärt sie, drückt sie nicht zuletzt für sich aus, was ihr hier in ihrem Berliner Leben fehlt. „Manchmal fehlt mir Kolumbien – etwa einfach Spanisch um mich herum zu hören. In solchen Momenten packe ich meine Gefühle in die Musik.“
Martínez schrieb eine Mail an das Label, das seinerzeit, bei ihrem ersten Kölnbesuch, ihre erste Anlaufstelle war – ein eher intuitiver Impuls, ist ihr eigener Sound dann doch recht weit weg von dem, was man aus dem Hause Kompakt kennt. Schnell bekam sie eine Antwort von dem DJ und Produzenten Michael Mayer, einem der Labelchefs. Der war von den Songs und ihrer Präsentation so angetan, dass er sie bei IMARA, einem neuen Sublabel von Kompakt, unter Vertrag nahm. Dort landet die Musik, die für ihn Herzensangelegenheit ist; „Servicio al Cliente“ ist die zweite Veröffentlichung überhaupt.
Ein Label für Herzensprojekte scheint auf jeden Fall ein passender Ort für diese Songs zu sein, die klingen, als seien sie dafür gemacht, ein bisschen Leichtigkeit in diesen Lockdown-Frühling zu bringen.
Servicio al Cliente: „Servicio ‚al Cliente“ Imara/Kompakt
www.servicioalcliente.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen