Nur ein bisschen gecancelt

Die Stadt Hannover sagt einen Vortrag des Historikers Helmut Bley über deutsche Kolonialgeschichte ab. Eine Initiative für rassismuskritische Bildung hatte moniert, dass ein weißer Mann spricht. Der Pionier der kritischen Kolonialgeschichte fühlt sich zensiert

Setzt sich für die Aufklärung von Kolonialverbrechen ein: Historiker Helmut Bley Foto: Samantha Franson

Von Katharina Schipkowski

Wenn auf die Eröffnung durch Claudia Roth (Grüne) Armin Laschet (CDU) als Redner folgt, beginnt eine Veranstaltung ziemlich weiß. In der Auftaktveranstaltung der von den UN ausgerufenen internationalen Wochen gegen Rassismus wurde die Runde erst nach 20 Minuten diverser, als die Moderatorin Hadija Haruna-Oelker mit der Schriftstellerin Jagoda Marinić, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Zentralrates der Juden, Abraham Lehrer, und dem Journalisten Heribert Prantl diskutierte.

Um Diversität im engeren Sinne geht es bei einem Streit in Hannover aber auch nicht – wohl aber um Weißsein, Schwarzsein und die Fragen: „Wer spricht? Und wer nicht?“ Aber der Reihe nach. Die Stadt Hannover wollte sich mit vier Online-Veranstaltungen an der von den Vereinten Nationen (UN) ausgerufenen internationalen Wochen gegen Rassismus beteiligen. Eine davon konnte nicht stattfinden – sie wurde gecancelt.

Der renommierte Historiker für Afrikanische Geschichte, Helmut Bley, sollte ein Referat unter dem Titel „Kolonialgeschichte von Afrikanern und Afrikanerinnen her denken“ halten. Der emeritierte Professor setzt sich seit den 60ern für die Aufarbeitung der deutschen Kolonialverbrechen in Ostafrika ein. 2013 verteidigte er vor Gericht ein Gutachten, in dem er den kaiserlichen General Paul von Lettow-Vorbeck als Kriegs- und Menschenrechtsverbrecher bezeichnete. Die Töchter des Generals hatten Bley wegen Verunglimpfung des Andenkens verklagt, aber das Gericht gab Bley recht.

Nach dem Input des Historikers sollten Mitglieder der Initiative für „Diskriminierungssensibilität und Rassismuskritik“ (Idira) eine Petition für rassismuskritische Lehre in niedersächsischen Bildungsinstitutionen vorstellen und mit Bley diskutieren. Doch die Initiative weigerte sich. Dass ausgerechnet ein weißer Mann im Kontext von Rassismus erklären solle, wie man Geschichte von Afrikanerinnen und Afrikanern her denkt, wolle man nicht unterstützen, entschieden die Mitglieder. Daraufhin sagte die Stadt die Veranstaltung ab.

Die Stadtverwaltung versucht den Vorfall klein zu reden. Die Veranstaltung sei ja noch gar nicht angekündigt gewesen, deshalb könne auch von einer Absage keine Rede sein, sagt der Kommunikationsleiter des Bürgermeisterbüros, Christian von Eichborn. Das angedachte Gesprächsformat habe sich allerdings nicht als tragfähig erwiesen.

„Das bedauern wir“, sagt von Eichborn. „Als Veranstalterin ist es uns wichtig, eine offene und liberale Diskussionskultur zu ermöglichen. Diese muss aber von allen Seiten gewollt sein.“ Die Stadt habe sich mit Bley verständigt, seinen Vortrag stattdessen im Rahmen der Reihe „Wissenschaft im November“ zu halten und alles sei damit fein gewesen.

Ganz so easy-peacy stellt es sich für Bley nicht dar. Er sieht sich von Cancel Culture betroffen. Nachdem die drei Vertreterinnen der Initiative das Gespräch mit der Absage ihrer eigenen Teilnahme verlassen hätten, sei er noch nicht davon ausgegangen, dass auch er dann nicht sprechen dürfe. Erst einen Tag später habe ihn eine Sachbearbeiterin der Stadt angerufen und abgesagt. „Eine Fehlentscheidung einer einzelnen Sachbearbeiterin“, meint Bley. Allerdings eingebettet in eine größere Problematik: „Eine massive Zensurbewegung, die nur Betroffene für berechtigt hält, über ein Problem zu sprechen.“

Doch darum gehe es der Initiative explizit nicht, sagt Svea Ostermeier, die Mitglied bei Idira ist und an dem Gespräch mit Bley und der Stadt beteiligt war. „Wir wollen weißen Menschen nicht absprechen, sich zu Rassismus zu äußern“, erklärt sie. Schließlich setze sich auch Idira aus schwarzen sowie weißen Studierenden und nicht-Studierenden zusammen. Wichtig sei aber, wo man sich im Diskurs verorte.

„Auch ich bin weiß positioniert“, räumt Ostermeier ein. Und wenn es explizit um schwarze Geschichte gehe, wäre es doch besser, wenn vorrangig schwarze Menschen zu Wort kämen, da diese ohnehin weniger Gehör in der mehrheitlich weißen Gesellschaft fänden. In Hannover gebe es durchaus mehrere Initiativen, die die Stadt dafür hätte anfragen können.

„Eine massive Zensurbewegung, die nur Betroffene für berechtigt hält, über ein Problem zu sprechen“

Helmut Bley, Historiker

Ostermeier und ihren Mitstreiterinnen habe außerdem die Art und Weise nicht gefallen, wie Bley mit ihnen geredet habe. Durch seine Körperhaltung und Wortwahl habe der Professor signalisiert, dass er auf sie herab schaue. „Er betonte, wie erfahren er sei und wertete unsere Arbeit nach dem Motto ‚Wenn ihr irgendwann soweit seid, werdet ihr es verstehen‘ ab“, sagt Ostermeier. Außerdem habe Bley die Kolonialverbrechen in Ostafrika im Vergleich zu denen anderer Länder relativiert und durch den Begriff „Afrikaner“ schwarze Identitäten generalisiert.

Bley wiederum wirft der Initiative vor, gar nicht diskutiert zu haben, sondern das Gespräch durch eine Blockadehaltung verunmöglicht zu haben. Darüber, dass der Titel „Kolonialgeschichte von Afrikanerinnen und Afrikanern her denken“ vielleicht unpassend sei, wenn ein Weißer seine Gedanken ausbreitet, hätte man ja reden können.

Bley hätte der Initiative außerdem gern vermittelt, dass er ihre Petition zu rassismuskritischer Bildungsarbeit zwar gut finde, aber man sich nicht auf die deutsche Kolonialgeschichte beschränken dürfe. Schließlich habe die lediglich vier Länder betroffen. Berücksichtigen müsse man auch die Realität migrantisch geprägter Schulklassen mit arabischen und kurdischen Kindern und ihren Geschichten.

Dass die Veranstaltung im Rahmen der Wochen gegen Rassismus abgesagt wurde, ist für Svea Ostermeier kein Erfolg. „Wir sind ja nicht gegen Professor Bley oder seine Forschung. Wir wünschen uns vielmehr, dass weiße Menschen ihre Privilegien reflektieren und von selbst drauf kommen, dass es schön wäre, im Rassismuskontext Betroffenen das Wort zu geben.“