die woche in berlin
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Das sind ja alles Fragen. Ob es zum Beispiel gut gehen kann, wenn die Schulen und Kitas jetzt wieder öffnen, obwohl die Infektionszahlen nicht sinken, im Gegenteil? Und wie sich eine Berlinale anfühlt, ohne das ansonsten so schaufreudige Filmfestspielepublikum? Und ob man sich andererseits nicht sogar eine Welt ohne die AfD vorstellen könnte?

Kann dieser Schritt Schule machen?

Der Senat öffnet Grundschulen und Kitas. Die Kinder freut das

Es widerspricht dem Klischee von Schule, aber wer gerade einer Berliner Fünft­kläss­le­r*in sagt, dass auch sie ab Dienstag wieder in die Schule darf, blickt in glänzende Augen. Am Dienstag hat der Senat unabhängig von der Bund-Länder-Schalte tags darauf entschieden, dass nach den Erst- bis Dritt­kläss­le­r*in­nen auch die Grund­schü­le­r*in­nen der Stufen vier bis sechs wieder in Klassenzimmern unterrichtet werden. Dabei gilt: Die Klassen sind in der Regel halbiert; Präsenzpflicht besteht nicht.

Noch weitgehender ist der Schritt bei den Kitas, die seit dem Lockdownbeginn im Notbetrieb fuhren: Ebenfalls ab Dienstag – Montag ist bekanntlich Frauentag, sprich Feiertag in Berlin – soll allen Kindern wieder ein Betreuungsangebot von mindestens sieben Stunden pro Tag gemacht werden.

Es gibt gute Gründe für diese angesichts von leicht steigenden Infektionszahlen doch recht forschen Schritte: Die Lücken im zu Hause bewältigenden Lernstoff wachsen, die häusliche Gewalt nimmt drastisch zu, wie etwa Detlef Wagner, Gesundheitsstadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf, berichtet hat, und die Stimmung in vielen Homeofficeschooling-Haushalten ist angespannt.

Trotzdem war die Reaktion vieler Eltern gemischt: Wäre ein vorsichtigeres Vorgehen angesichts der schwierig einzuschätzenden Auswirkungen der Virusmutanten nicht angemessener? Kommt es nach zweieinhalb Monaten Heim­unterricht auf ein oder zwei weitere Wochen an, an deren Ende Leh­re­r*in­nen und Er­zie­he­r*in­nen zumindest mit einer ersten Dosis geimpft wären?

Denn das ansonsten pannengeplagte Berlin steht ja vor einer ungewohnten Situation: Der Impfstoff ist da, die Struktur zum Verabreichen funktioniert – allein die Impfwilligen verschmähen den AstraZeneca-Stoff. Im einstigen Flughafen Tegel sind damit bis zu 3.800 Impfungen täglich möglich; die Kapazitäten werden aber bei Weitem nicht ausgeschöpft. Und das am Montag öffnende Impfzentrum im Ex-Flughafen Tempelhof, wo ebenfalls der britisch-schwedische Impfstoff verabreicht wird, bietet mangels Nachfrage nur nachmittags Termine an. Der Stoff, auf dem viele Hoffnungen ruhen, er ist also da für das Personal in Schule und Kita.

Dazu kommt, dass die vom Senat erworbenen, unter anderem für Schü­le­r*in­nen vorgesehen 2 Millionen Selbsttests erst ab kommender Woche zur Verfügung stehen. Wie genau sie eingesetzt werden sollen, ist noch unklar. Derweil bastelten viele Schulen in dieser Woche an eigenen Konzepten für ihre Teststrategie und forderten Ärz­t*in­nen und medizinisches Personal in ihrer Elternschaft dazu auf, sich zu beteiligen.

Vieles läuft also parallel. Im besten Fall greifen die verschiedenen Maßnahmen ineinander, sodass nach den zähen, drögen, teilweise depressiven Wochen des Lockdowns die Hoffnung auf ein (zumindest vorläufiges) Ende des Corona­dramas schnell aufkeimen kann. Doch ob das Zusammenspiel klappt, ob die Mutanten schneller sind, wer weiß?

Der Umgang mit der Pandemie bleibt ein Trial-and-Error-Spiel, wie schon so oft in diesen ersten zwölf Monaten der Pandemie. Bert Schulz

Die roten Teppiche jetzt für zu Hause?

Die Berlinale wehrt sich ohne Publikum gegen die Pandemie

Stell dir vor, es ist Berlinale und keiner geht hin. Das ist dieses Jahr trübe Wahrheit geworden. Diese Woche lief das Programm der 71. Berlinale, doch die Kinos waren zu. Branchenleute und Journalisten konnten zwar das Programm der Sektionen beziehungsweise des European Film Market schauen, doch statt sich am Potsdamer Platz zu tummeln, saßen alle zu Hause vor ihren Bildschirmen und streamten. Allein die Jurys kamen in den Genuss, die Filme ihrer Sektionen im Kino auf der Leinwand zu sehen.

Unter die Freude, dass die Berlinale nicht pandemiebedingt ausfallen musste, mischte sich da schon bald der Frust. Eine täglich wechselnde Mediathek durchzugehen und sich danach sein Filmprogramm zu erstellen ist einfach nicht dasselbe, wie im Berlinale-Palast Platz zu nehmen und zu warten, dass sich der Vorhang öffnet. Selbst wenn so das Schlangestehen entfällt. Und die Frage ist zudem, wen in Berlin die Berichte über Filme interessieren, die man ohnehin gerade gar nicht sehen kann, aber, anders als etwa bei den Filmfestivals von Cannes, Venedig oder Toronto, eigentlich hätte sehen können sollen.

Besonders bitter ist, dass „das“ Publikumsfestival unter den großen Filmfestivals sich gezwungen sieht, sein Publikum draußen zu halten. Dass es sein Programm auf 166 Filme eingedampft hat, mag in der Pandemie verständlich erscheinen. Doch dass es im Juni, wenn in einigen Kinos und open air dann das „Summer Special“ folgt, die Kinofreunde mit einer noch einmal kleineren Auswahl von dieser vergleichsweise überschaubaren Menge an Filmen – sonst waren um die 400 Beiträge bei der Berlinale üblich – rechnen müssen, macht traurig.

Gleich zu rufen, dass die Berlinale sich jetzt selbst überflüssig macht, ist da vorschnell. Die Lage ist schließlich nicht allein im Kino höchst ungewöhnlich und erfordert unerprobte Strategien. Doch die Zukunft der Berlinale kann dieses zweigeteilte Modell definitiv nicht sein. Sonst droht sie am Ende ihr Publikum zu verlieren. Andererseits weiß keiner, was nächstes Jahr sein wird und welche Entscheidungen dann anstehen.

Ob es irgendwann einmal zu einem rein digitalen Berlinale-Publikumsfestival kommt, ist sehr fraglich. Ebenso die Aussicht, dass sich Berliner die eigene Wohnung mit rotem Teppich ausgestalten. Bleibt zu hoffen, dass es gar nicht nötig wird, sich diese Frage zu stellen.

Tim Caspar Boehme

kultur

Die Lage ist schließlich nicht allein im Kino höchst ungewöhnlich und erfordert unerprobte Strategien

Tim Caspar Boehme über eine besondere und dabei eher freudlose Berlinale

Wo steht die AfD mit Pazderski und von Storch?

Der mögliche Verdachtsfall AfD stellt sich in Berlin alt auf

Für viel Hickhack hat diese Woche die drohende Einstufung der AfD als rechtsextremer Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz gesorgt. Zunächst wurde die Partei gegen alle Widerstände, Eilklagen und in Berlin mit dem Durchstechen von Zwischenberichten sogar Schützenhilfe aus dem Verfassungsschutz selbst zum bundesweiten Verdachtsfall eingestuft. Am Freitag wurde die durch Medienberichte bekannt gewordene Einstufung dann vom Verwaltungsgericht vorerst wieder kassiert, diese Entscheidung ist wiederum anfechtbar.

Die Einstufung des Verfassungsschutzes dürfte auf lange Sicht dennoch aufrecht erhalten bleiben: Allen Mimikry-Versuchen des Meuthen-Lagers zum Trotz gebe es „gewichtige Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen“ in der Partei, wie es diese Woche hieß. Auch nachrichtendienstliche Mittel wie V-Leute oder Telekommunika­tionsüberwachung wären dann gegen die AfD einsetzbar.

Schuld daran ist natürlich die AfD selbst. Sie strebt durch rassistische Aussagen, parlamentarische Blockaden, Schmutzkampagnen und Verflechtungen mit rechtsextremen Organisationen seit ihrer Gründung eine rechte Diskursverschiebung an und nähert sich immer mehr dem Label NPD 2.0 an. Im seit 2015 anhaltenden gesellschaftlichen Rechtsruck ist sie allerdings deutlich gefährlicher, als es die NPD je war: Denn die AfD verfügt immer noch über eine im Verhältnis zu anderen rechts außen stehenden Parteien eine größere Wählerschaft, die zwar schrumpft (in Berlin: 9 Prozent), aber sie auf absehbare Zeit in den Parlamenten halten wird – und das nicht trotz, sondern wegen der rechtsradikalen Ausrichtung. Im Zuge des Rechtsrucks steht Deutschland europaweit an der Spitze, was rechten Terror und Gewalt angeht.

Die drohende Einstufung basiert laut Spiegel auf einem rund tausendseitigen Gutachten, das der Verfassungsschutz seit Anfang 2019 zusammengetragen hat. Es dürfte sich auf das stützen, was ohnehin durch die Arbeit von investigativen Recherchekollektiven und Jour­na­lis­t:in­nen bekannt ist.

Probleme könnten durch die Einstufung künftig vor allem Beamte in der AfD bekommen: Polizist:innen, Lehrer:innen, Staats­an­wäl­t:in­nen, Rich­te­r:in­nen oder sonstige Staatsbedienstete mit Verfassungstreuepflicht. Allerdings hängt dies individuell davon ab, inwiefern sich Be­am­t:in­nen aktiv in der Partei oder an verfassungsfeindlichen Bestrebungen mitwirken, wie aus EU-Urteilen nach Einschätzungen von Staatsrechtlern zum Radikalenerlass hervorgeht. Überzeugte und verbeamtete AfDle­r:in­nen wird dies kaum bekümmern, zumal die Partei die Einstufung weiter juristisch anficht.

Wo genau die Berliner AfD zu verorten ist, ist indes umstritten. Der erneut mit Beatrix von Storch für den Landesvorstand kandidierende Pazderski hatte stets auf einen bürgerlichen Anstrich gesetzt. Allerdings hatte er selbst zuvor die liberaleren Lucke-Anhänger:innen mit Hilfe des Flügels von der Landesspitze weggerechtsruckt. Pazderskis Social-Media-Postings und parlamentarische Reden erschöpfen sich in rassistischen Ausfällen, Law-and-Order-Rhetorik sowie Rot-Rot-Grün-Bashing. Beatrix von Storch steht für radikalchristliche und erzkonservative Familienpolitik und für Aussagen, die bis an den äußersten rechten Rand anschlussfähig sind.

Gareth Joswig