heute in bremen: „Alles hat zu, aber die Haare sind schön“
Sabine Langeworth
60, ist Friseurmeisterin im Bremer Viertel und Mitorganisatorin der Aktion „Jeder Luftballon eine Existenz“.
Interview Sophie Lahusen
taz: Frau Langeworth, Sie dürfen als Friseurin bald wieder aufmachen. Freut Sie das nicht?
Sabine Langeworth: Natürlich freue ich mich auf den 1. März, wir können endlich wieder loslegen. Aber was ich mir wirklich wünsche und was wir mit der Aktion deutlich machen wollen ist: Solidarität. Wir können als Friseure weitermachen, aber wir sind nichts ohne den Rest der Geschäfte. Laut einer Statistik sind 41 Prozent der Geschäfte von der Insolvenz betroffen. Ich möchte hier am Ende nicht alleine arbeiten und neben mir nur Leerstand und Wohnungen. Viele Kunden und Kundinnen kommen auch von weiter weg ins Viertel und gehen danach in die Geschäfte links und rechts, das ist eine Win-win-Situation für alle.
Laut der Erklärung der Regierung geht es bei Friseurbesuchen auch um „Hygiene und Würde“. Was halten Sie von der Begründung?
Das ist ein Quantensprung von unserer Stellung in der Gesellschaft. Da fragt man sich, was wir besser machen als eine Kosmetikerin oder der Einzelhandel, da gibt es für mich keine Erklärung. Deswegen sage ich, wenn wir aufmachen, müssen alle aufmachen. Alles hat zu, aber die Haare sind schön – das verstehe ich nicht.
Ihre Aktion wurde vor allem von Frauen ins Leben gerufen. Wie kommt das?
Aktion „Jeder Luftballon eine Existenz: am Freitag wird Bremen bunt“: ab 11 Uhr machen Kleinst- und Kleinunternehmer:innen in ganz Bremen auf ihre Existenznot aufmerksam
Wenn man das Viertel rauf und runter geht, sind es vor allem Frauen, die sich in die Selbstständigkeit gewagt haben. Nicht, weil sie als Hausfrauen und Mütter einem Hobby nachgehen wollen, sondern weil sie mit Herzblut eine Geschäftsidee hochziehen. Das bedeutet ein großes Risiko. Das ist kein bloßer Zeitvertreib. Wir schaffen Arbeits- und Ausbildungsplätze und jetzt wird vielen die Existenzgrundlage genommen.
Was möchten Sie mit der Aktion erreichen?
Es geht vor allem um eine schnelle und unbürokratische Hilfe. Die aktuellen Hilfsprogramme sind unglaublich kompliziert und können nur von unseren Steuerbüros bearbeitet werden. Das dauert eine ganze Weile, bis man das Geld hat und es geht auch nur um 90 Prozent der Fixkosten. UnternehmerInnenlohn, Krankenkassenbeiträge und Lebenshaltungskosten sind da nicht eingerechnet. Viele Frauen sind von Altersarmut betroffen und es ist sowieso schon schwer, sich als Kleinstunternehmerin eine vernünftige Altersvorsoge aufzubauen, und jetzt muss man an die Rücklagen. Wir fordern eine klare Strategie zur Wiedereröffnung. Wir kennen unsere Kundschaft gut und können so ein gutes Hygienekonzept garantieren.
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