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Die Frau mit der großen Brille

Die Musikerin als Comic-Heldin: 23 Künstlerinnen und Künstler zeichneten Episoden aus der nicht nur glamourösen Biografie von Mary Ocher nach. „Moop“ ist ein Indie-Comic, selbst verlegt, in kleiner Auflage gedruckt

Von Andreas Hartmann

Egal, ob mit feinem Strich gestaltet oder nur krakelig skizziert: Als Comicfigur ist die in Berlin und Hamburg lebende Musikerin Mary Ocher ein dankbares Objekt für Zeichner und Zeichnerinnen. In den 27 Kurzcomics, die in dem Band „Moop!“ kompiliert wurden und allesamt Episoden aus dem Leben der 34-Jährigen nacherzählen, ist sie immer leicht zu identifizieren: Das Mädchen oder die junge Frau mit der großen Brille, das ist Mary Ocher. Woody Allen als Comicfigur funktioniert ähnlich.

Die Künstler und Künstlerinnen, die sich mit Ochers Biografie mit der Tuschefeder in der Hand beschäftigen durften, kommen aus aller Welt. Was selbstverständlich ist für eine derart polyglotte Person wie Mary Ocher, die in Russland geboren wurde, als Kind mit ihrer Familie nach Israel auswanderte, dann nach Berlin zog und als Musikerin bereits den halben Planeten bereiste.

Manche der Zeichner kennt sie persönlich, andere wurden ihr empfohlen, berichtet sie auf Nachfrage per E-Mail. Die Stile und Erzähltechniken unterscheiden sich gravierend. Manche Strips wirken so, als seien sie in fünf Minuten hingekritzelt worden, andere sehen nach mühsamer Arbeit aus. Viele sind kurz und knackig nach einer Seite schon wieder vorbei, mehr als vier Seiten braucht keiner, um eine Story zu Ende zu erzählen.

Manche Strips wirken, als seien sie in fünf Minuten hingekritzelt worden

So mancher der Künstler dürfte durchaus eine Größe in der Comicszene sein, der bekannteste Name unter ihnen ist vielleicht der von Klaus Cornfield, einst Kopf der semilegendären Indieband Throw That Beat In The Garbagecan!

So bunt und wild durcheinander wie die Auswahl der beteiligten Zeichner ist dann auch der Comicband selbst geraten. Chronologisch aufgebaut ist er schon einmal nicht: Geschichten aus der Kindheit Ochers in Israel, von ersten Gehversuchen als Musikerin in Berlin, vom Dasein als international bekannter Indie-Star, stehen vermeintlich nach dem Zufallsprinzip geordnet nebeneinander. Der Do-it-yourself-Spirit und die gelebte Punk-Attitüde von Mary Ocher spiegeln sich perfekt in den gezeichneten Auszügen ihrer Biografie wider.

Das Lettering ist bei mancher Geschichte so unleserlich geraten, dass man sich denkt, man bräuchte unbedingt Mary Ochers Riesenbrille, um es entziffern zu können. Zwei Seiten in dem Band wurden aus Versehen gleich doppelt abgedruckt. Aber das macht alles nichts: Ein echter Indie-Comic, selbst verlegt, den es außerdem nur in einer Auflage von 300 Stück geben wird, sollte unbedingt genau so aussehen. Die nachgezeichneten Anekdoten von Mary Ocher handeln von dem, was man als schon früh empowerte, feministische, antikapitalistische, pazifistische und auf soziale sowie künstlerische Integrität Wert legende Musikerin so erlebt. Unsere Heldin muss sich zum Beispiel mit einem ignoranten und sexistischen Plattenladenbesitzer in Hamburg herumplagen. Sie wird wütend, als bei einem sowieso schon schrecklichen Auftritt vor snobistischen Hipstern in Paris jemand aus dem Publikum versucht, ihr das Mikrofon zu klauen. Oder staunt darüber, dass der seit seiner bizarren Beteiligung bei den Capitol-Riots am 6. Januar in Washington, D.C. endgültig berüchtigte Indie-Star Ariel Pink ihr nettes Angebot, ihm ihre neue Platte zu schenken, rüde ausschlägt. Immerhin nimmt dann Ariel Pinks Bassist das Geschenk freudig an.

Die Storys sind mal lustig, mal lakonisch, mal schockierend, oft alles zusammen

Ein paar Fun-Facts für Ocher-Fans werden auf den 55 Comicseiten auch zusammengetragen. So erfährt man etwa, dass Mary Ocher als Teenager grüne Haare hatte, Hunde mag und Yoko Ono gut findet.

Die Storys sind mal lustig, mal lakonisch, mal schockierend und oft auch alles zusammen. Etwa die, in der Mary Ocher versucht, als Straßenmusikerin in Charlottenburg ein paar Euro reinzuklampfen. Niemand schenkt ihr Beachtung, und wenn, dann eher in Form von Verachtung. Bis auf einen Vater, der seinen Sohn losschickt, um ihr etwas in den Gitarrenkoffer zu legen. Als sie schaut, womit sie da bedacht wurde, stellt sie fest: mit einem ausgekauten Kaugummi. Nein, das Leben als Indie-Musikerin ist nicht nur glamourös, sondern auch voller Demütigungen und Niederlagen. Aber eben auch vielgestaltig und aufregend genug, um es in einem feinen Comicband nachzuerzählen.

„Moop! – Mary Ocher by 23 artists“. Underground Institute, 16 Euro

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