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Ein großerMode-Populist

Pierre Cardin ist mit 98 Jahren in Paris gestorben. Bis zuletzt führte er sein Modehaus komplett autonom

Pierre Cardin vor seinen Entwürfen aus den 50er Jahren Foto: Charles Platiau/reuters

Der Name Pierre Cardin steht für radikal futuristische Modevisionen und für überbordende Lizenzgeschäfte. Cardins skulpturale Minikleider und Overalls prägten maßgeblich die Mode der späten 60er Jahre, später begegnete man seinem Namen vornehmlich auf Regenschirmen, Schlüsselanhängern, Zigarettenschachteln und Lidl-Unterwäsche. Cardin brach nicht nur mit seinen experimentellen Designs, sondern auch mit seiner kommerziellen Strategie jegliche Konvention der Modewelt – und das gleich zu Beginn seiner Karriere.

Nach seiner Lehre bei Dior gerade erst als Haute-Couture-Designer etabliert, entschloss sich Cardin 1959, auch Prêt-à-porter-Mode zu entwerfen – ein Affront, der ihm den Ausschluss aus der Chambre Syndicale de la Haute Couture einbrachte. Der quersinnige Designer ließ sich davon nicht beirren. Cardin steuerte unumwunden die Masse an. „Nur Mao ist besser als ich“, ließ er einmal verlauten, „er hat 900 Millionen Menschen angezogen.“

Um ähnliche Ziffern zu erreichen, ging Cardin von Beginn seiner Karriere an neue Wege, bewarb seine Entwürfe mit riesigen Plakatwänden auf den Pariser Boulevards und eröffnete in einer Zeit, in der die Modewelt Männern keinerlei Beachtung schenkte, die Boutique Adam.

Kreative Kompromisse war Cardin die Massentauglichkeit allerdings nicht wert. Für die traditionelle Couture-Zielgruppe der Rive Droite fehlte ihm die Geduld, das machte er immer wieder mit aller Deutlichkeit klar: „Alternde Frauen mit ihrem blödsinnigen Bedürfnis zu gefallen sind ein extremes Hindernis für die Arbeit kreativer Modepioniere.“ Stattdessen entwarf er für die Neue Frau anschmiegsame Hosenanzüge, die Komfort im Berufsalltag bieten sollten.

Cardin war ebenso sehr Globalist wie Futurist. In Japan lehrte er Kenzo und Hanae Mori das Schneidern ohne Schnittbogen und schuf inspiriert von der dortigen Kultur minimalistisch-skulpturale Kimonos; zum internationalen Durchbruch verhalfen ihm die von der indischen Nehru-Jacke inspirierten Anzüge mit rundem Kragen, die die Beatles 1962 auf dem Cover ihrer Single „Love Me Do“ trugen. Ende der 60er Jahre verkaufte er seine Entwürfe für die Massenproduktion nach China, 1983 eröffnete er Boutiquen in Moskau als erster französischer Designer in der Sowjetunion.

Cardins Marktgenie, sein Sprechen in einfach zitierbaren Aphorismen und seine Vermählung von Pop- und Hochkultur provozierten oft den Vergleich mit Andy Warhol. Was für Warhol seine Factory war, war für den französischen Designer der Espace Cardin auf den Champs-Élysées. Dort präsentierte er seine Kollektionen, stellte Kunst aus und bot einen Raum für Film und Theater. Auch als die meisten Kritiker*innen das Interesse an Cardins Entwürfen verloren hatten, blieb der Espace Cardin ein Hotspot der Pariser Kunst­avantgarde.

In der Burg des Marquis de Sade in Lacoste veranstaltete Cardin Kulturfestivals, seine wenigen Urlaubstage verbrachte er im ikonischen Palais Bulles, einem aus Kugelstrukturen gestalteten Anwesen des ungarischen ­Architekten Antti Lovag. Cardin schuf sich seine eigene Lebenswelt, in der seine Zukunftsvisionen schon Realität waren. Dank seiner zahlreichen Lizenzgeschäfte war es ihm möglich, das Erbe seiner Marke trotz abnehmendem ­öffentlichen ­Interesses weiterzuführen. Ab den frühen 90er Jahren ließ er in seinen Designs die 60er ­aufleben und zeigte seine Entwürfe in spektakulären Schauen auf dem Roten Platz in Moskau und in der Wüste Gobi. Er verstarb am 29. Dezember im Alter von 98 Jahren in Paris. Donna Schons

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