Klimaklage gescheitert: Greenpeace verliert in Norwegen

Der oberste Gerichtshof in Oslo sieht in neuen Öl- und Gaslizenzen in der Barentssee keinen Verfassungsverstoß. Es ist eine Niederlage für Umweltschützer.

Greenpeace Aktivisten vor der Ölbohrinsel Equinor in der Nähe von Hammerfest, Norwegen

Greenpeace-AktivistInnen vor der Ölbohrinsel „Equinor“ in der Nähe von Hammerfest, Norwegen Foto: Jonne Sippola/Greenpeace/reuters

STOCKHOLM taz | Der norwegische Staat hat nicht gegen die Verfassung verstoßen, als er im Juni 2016 Lizenzen zur Ölprospektion und -förderung in der arktischen Barentssee ausschrieb und diese dreizehn Ölkonzernen erteilte. Das entschied das „Høyesterett“ in Oslo, der oberste Gerichtshof des Landes in einem am Dienstag verkündeten Urteil. Formal ist die Entscheidung eine Niederlage für die vier Umweltschutzorganisationen, die diese „Klimaklage“ vor vier Jahren erhoben hatten. Sie können sich allerdings damit trösten, dass eine Minderheit des Gerichts ihnen recht geben wollte.

Zentral für die Entscheidung des Gerichts war eine restriktive Auslegung des „Umweltartikels“ der norwegischen Verfassung durch das Høyesterett, das in Norwegen auch die Rolle eines Verfassungsgerichts hat. Dieser Artikel 112 garantiert „jedermann“ das Recht zu einer Umwelt, „die der Gesundheit und einer natürlichen Umgebung förderlich“ ist.

Der Staat wird ausdrücklich zu einem solchen Umgang mit natürlichen Ressourcen verpflichtet, „die dieses Recht auch für zukünftige Generationen sichern werden“. Zwar lassen sich nach Meinung des Gerichts aus dieser Vorschrift durchaus materielle Rechte herleiten und dieser Artikel beschränke staatliches Handeln. Allerdings sei er lediglich eine Art „Sicherheitsventil“, das nur dann relevant werde, wenn Parlament oder Regierung die sich „daraus ergebenden Verpflichtungen gröblich verletzten“. Dies sei hier „eindeutig“ nicht der Fall.

Greenpeace, „Natur og Ungdom“ („Jugend und Umwelt“), die „Besteforeldrenes klimaaksjon“ („Klimaaktion der Großeltern“) und der Naturschutzverband („Naturvernforbundet“) hatten der Regierung in Oslo einen solchen Verfassungsverstoß vorgeworfen, weil angesichts der Klimakrise die Erteilung von Lizenzen für Öl- und Gasfelder mit dem Schutz künftiger Generationen unvereinbar sei: Schon die Ausbeutung der global bereits erschlossenen Lagerstätten für Kohle, Öl und Gas mache die Einhaltung des 2-Grad-Ziels des Pariser Klimaabkommens illusorisch. Jede zusätzliche Öl- und Gassuche verbiete sich daher.

Momentan weder Öl noch Gas gefunden

Eine derartige Beschränkung des politischen Handlungsspielraums lässt sich aber nach Meinung des Gerichts aus dem Umweltartikel nicht herleiten. Zum einen stelle sich die Frage nach einem zusätzlichen CO2-Ausstoß allenfalls, wenn tatsächlich Öl- und Gaslagerstätten gefunden worden seien und ganz konkret eine mögliche Förderung anstehe. Das sei momentan noch nicht der Fall.

Zum anderen hält eine Mehrheit des Gerichts den Artikel 112 nicht für einschlägig, soweit es um den CO2-Ausstoß des von Norwegen exportierten Öls geht. Wie schon die Vorinstanz meint auch das Høyesterett, dass jedes Land nur für den Klimagasausstoß seines eigenen Territoriums verantwortlich sei. Die allein durch die bloße Ölförderung in Norwegen selbst freigesetzten Klimagase würden aber nicht die von den Klägerinnen befürchteten Auswirkungen haben.

Damit wies das Gericht auch eine mögliche Parallele zum niederländischen Urgenda-Urteil zurück, auf das sich die klägerischen NGOs zusätzlich gestützt hatten: Dort sei es um Emissionsziele gegangen und nicht um die Frage, inwieweit ein konkreter staatlicher Beschluss illegal sei. Was diesen norwegischen Beschluss, nämlich die Lizenzerteilung im Jahre 2016 angehe, könne Oslo weder ein Verstoß gegen die Verfassung noch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention vorgeworfen werden.

4 von 15 RichterInnen sehen Konsequenzen für Ölpolitik

Eine Minderheit von 4 der 15 RichterInnen sieht das allerdings anders: Regierung und Parlament hätten sowohl die nationalen wie die globalen Konsequenzen der norwegischen Ölpolitik berücksichtigen müssen. Das sei nicht geschehen, weshalb die seinerzeitige Lizenzerteilung ungültig sei.

Als „provozierend“ bezeichneten die Kläger das Urteil. Es zeige „keinerlei Verständnis für den Ernst der Klimakrise“. Für die Mehrheit des Gerichts habe die Loyalität zur Ölpolitik der Regierung offenbar schwerer gewogen als das Recht künftiger Generationen, kritisierte Silje Ask Lundberg, Vorsitzende des Naturschutzverbands.

Mit seiner restriktiven Auslegung habe das Høyesterett dem Umweltartikel alle Zähne gezogen, kommentierte der Juraprofessor Hans Fredrik Marthinussen: „Der Artikel 112 ist tot. Das Gericht ist noch konservativer, als ich gedacht hatte.“ Sowohl Greenpeace wie auch die „Klimaaktion der Großeltern“ kündigten an, über eine Klage beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof nachzudenken.

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