das portrait
: Melih Bulu soll Istanbuls wichtigste Universität auf AKP-Linie bringen

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Lange war es ruhig gewesen an den türkischen Universitäten, doch die Ernennung von Melih Bulut, einem Parteikader der regierenden AKP, zum Rektor der Boğaziçi-Universität (Bosporus-Uni), der renommiertesten Hochschule Istanbuls, hat jetzt Studierende und Professoren auf die Barrikaden getrieben. Nach heftigen Protesten wurden 16 Studierende festgenommen, nach 12 weiteren wird gefahndet. Am Dienstag glich der Campus einem Polizeilager. Mit Gewalt sollen weitere Proteste verhindert werden.

Der 51-jährige Melih Bulut ist sowohl Akademiker wie Politiker. Er gehört zu den Gründern der Istanbuler AKP und waren deren Vize-Vorsitzender. 2015 kandidierte er für das Parlament, konnte sich in seinem Istanbuler Wahlbezirk aber nicht durchsetzen. Danach konzentrierte er sich wieder mehr auf seine akademische Karriere, zuletzt war der Professor für Finanzwissenschaft Rektor der Haliç-Universität, einer kleinen privaten Hochschule in Istanbul.

Die Bosporus-Universität ist seit Jahrzehnten eine Bastion der liberalen, demokratischen Türkei und gehört zu den ganz wenigen türkischen Universitäten, die auch international einen exzellenten Ruf hat. Wichtige intellektuelle Auseinandersetzungen, wie zum Beispiel über den Völkermord an den Armeniern, wurden dort öffentlich geführt. Dem konservativen islamischen Lager mit Präsident Recep Tayyip Erdoğan an der Spitze war die „Boğaziçi“ schon lange ein Dorn im Auge.

Mit der lange verteidigten Autonomie soll jetzt Schluss sein. Erstmals seit dem Putsch 1980 hat Erdoğan über die Köpfe der Professoren, Lehrkräfte und Studierenden hinweg einen Rektor ernannt, der der Tradition der Universität diametral gegenübersteht. Mit Bulut soll ein stramm konservativer Finanzwissenschaftler die Uni auf AKP-Kurs bringen. Der gesamte Lehrkörper hat in einem offenen Brief dagegen protestiert und angekündigt, dass sie es nicht hinnehmen werden, wie ihre akademische Autonomie mit Füßen getreten wird.

Die Studierenden nennen Melih Bulut einen „Zwangsverwalter“, in Anlehnung an die Zwangsverwalter, die Erdoğan in unbotmäßigen Kommunen einsetzen ließ. Sie haben weitere Demonstrationen angekündigt und werden dabei auch von Studierenden anderer Universitäten unterstützt. In Erdoğans autoritärem Staat ist es aber fraglich, ob sie eine Chance haben. Die gesamte Universität ist durch schwer bewaffnete Polizei weiträumig abgeriegelt. Außerdem wird derzeit an allen Universitäten wegen der Coronapandemie nur digital unterrichtet, was den Zusammenhalt zwischen den Universitätsangehörigen erschwert.

Sollte Erdoğan sich durchsetzen, wird eine der letzten Bastionen der freien Diskussionskultur zerstört. Bereits an den meisten anderen staatlichen Universitäten sind unabhängige Rektoren durch Parteigänger der AKP ersetzt worden. Das Niveau der universitären Bildung sinkt ständig, statt kritisches Denken zu fördern, werden Gebetsräume eingerichtet und islamische Bildungsziele propagiert.

Jürgen Gottschlich