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Wild und selbstbestimmt

Hirsch, Reh und Wildschwein kommen hierzulande nur selten auf den Tisch. Das liegt an dem Vorurteil, sie schmeckten streng und seien schwer zuzubereiten. Ein Irrtum!

Von Lisa Shoemaker

Bei der Erwähnung von Wild erscheint vor unserem vorurteilsgetrübten geistigen Auge entweder eine rustikale Wirtshausstube, in der ältere Herrschaften, gern in Tracht, von einem Teller speisen, auf dem Fleisch samt Knödeln und Kraut in dicker, brauner Soße schwimmt, oder wahlweise ein Rittersaal, in dem nebst der düsteren Ahnengalerie allerlei Gehörntes mit Schädelansatz an den Wänden prangt, mit einer langen festlich gedeckten Tafel, von unzähligen Lüstern beleuchtet. Nicht ganz zu Unrecht.

Seit dem frühen Mittelalter galt das Jagdrecht vor allem für den Adel. Der Hochadel jagte Hochwild, also Hirsche und Wildschweine, während der niedere Adel und der Klerus sich mit Rehen, Hasen und Wildgeflügel begnügen mussten. Bauern durften das äsende Wild auf ihren Feldern allenfalls verscheuchen, alles andere wäre Wilderei gewesen, die mit dem Tod bestraft werden konnte. Das Recht auf freie Jagd und Fischerei war daher eine der 12 Forderungen im Bauernkrieg des 16. Jahrhunderts. Nachdem der verlorenging, dauerte es bis in das 19. Jahrhundert, dass das Jagdrecht geändert wurde.

Noch immer kommt in Deutschland im Schnitt nur ein Mal im Jahr Wild auf den Tisch. Das bedeutet, bei den meisten überhaupt nicht. Ein Grund sind Berührungsängste und Vorurteile. Die gängigsten lauten, Wild sei kompliziert zuzubereiten und schmecke streng.

Doch was könnte weihnachtlicher sein, als zum Festmahl Wild zu servieren? Tannen, Wald, Gutes tun. Wild ist saisonal, regional und hinterlässt nur seinen natürlichen Fußabdruck, sieht man mal von Transport- und Zubereitungsenergie ab.

Doch das allein reicht Fabian Grimm nicht. Er hat neben einem Wildkochbuch auch eines über seine Wandlung vom Vegetarier zum Jäger geschrieben. Am wichtigsten ist ihm, dass die Tiere selbstbestimmt leben. Den Einwand, es gäbe auch Rinder, die ganzjährig rund um die Uhr auf der Weide stehen, lässt er nicht gelten: „Da gibt es nur einen Stier. Was, wenn die Kuh auf den gerade keinen Bock hat?“ Gäbe es zwei Stiere, käme es zu Kämpfen, und der Unterlegene kann sich nicht einfach in die Büsche trollen. Doch nur, wenn den Tieren solche Möglichkeiten offen stünden, könne er verantworten, Fleisch zu essen.

An der Zubereitung von Wild sei nichts kompliziert, sagt Grimm. Fleisch ist Fleisch. Beim Wildschwein ist offensichtlich, an welche Rezepte man sich halten kann. Rehe sind mit den ebenfalls wiederkäuenden Schafen zu vergleichen. Und wenn es darum geht, welches Stück man wie kocht, sollte man, wie bei domestiziertem Vieh, das Tier „von Haupt und Hufen nach innen denken“. Je näher das Fleisch an dem einen oder anderen ist, desto durchwachsener ist es. Das Filet aus dem Rücken darf nur kurz gebraten, Haxen und Bäckchen müssen unbedingt geschmort werden, während Keulen sich für unterschiedliche Zubereitungsarten eignen.

Beizen – also das Einlegen von Fleisch etwa in Wein und Essig, Sellerie, Lorbeer und Kräutern – hält Grimm für überholt. Das stamme aus einer Zeit, wo die Kühlketten nicht so eingehalten werden konnten wie heute und das Fleisch übermäßig „reifte“ und man den tranigen Geschmack durch das Einlegen übertünchen wollte.

Wild ist saisonal, regional und hinterlässt einen kleinen Fußabdruck

Petra Rimkus von DeliCat Catering, die auch Wildkochkurse gibt, schwärmt, dass Wildfleisch durch die natürliche Ernährung des Tieres besonders viele Spurenelemente wie Zink oder Selen enthält. Zudem ist es fettarm, da die Tiere sichviel bewegen. Wild von Wildfarmen ist fetter, dort erhält es Kraftfutter und lebt eben doch nicht ganz selbstbestimmt, obwohl es im Vergleich zu allen anderen Tieren unter menschlicher „Obhut“ viel mehr Bewegungsfreiheit hat.

Wild-Anfängern empfiehlt sie einen Hirschrücken, den man sich beim Fleischer am besten auslösen lässt. In Coronazeiten, wenn nicht viele um einen Tisch sitzen, ist der gerade groß genug. Er wird scharf in Butterschmalz angebraten und gart dann etwa 10 Minuten im Ofen bei 100° C nach. Danach kurz abgedeckt entspannen lassen, während man über nicht zu hoher Flamme Butter zerlässt und diese mit Orangenschale, Lorbeer und ein paar Wacholderbeeren aromatisiert. Abschließend das Fleisch in dieser Butter schwenken. Dazu serviert Rimkus beispielsweise ein Kürbiskernpesto.

Aber mit Wild kann man auch international kochen. Das bekamen wir einmal exemplarisch vorgeführt im Kurort Bad Abbach an der Donau kurz vor Regensburg. Nur der Zirngiblwirt hätte geöffnet, doch bezweifelte die Betreiberin des Hotels, in das wir Radler uns vor dem Regen geflüchtet hatten, ob er auch Laufkundschaft bewirtet, denn dort werde gerade eine Hochzeit gefeiert. Pessimistisch zogen wir los und merkten uns schon mal den plastikverschalten Imbiss auf dem Weg. Doch die Gaststube war geöffnet und die Speisekarte so verlockend, dass ich sogar von meinem Prinzip, kein Fleisch von unklarer Herkunft zu essen, abweichen durfte, denn es gab neben dem üblichen Schweinsbraten mit Knödeln allerlei Wild: Wir bestellten Pulled Wild Boar und Pasta mit Wildbolognese und ließen es uns bei einem Bayrisch Spritz (Weißbier mit Aperol) schmecken. Und an Geweihe an den Wänden des traditionellen Gasthofs kann mich nicht erinnern.

Tipp: Überall in Deutschland gibt es regionales Wild zu kaufen. Adressen findet man z. B. auf der Seite des Deutschen Jagdverbandes www.wild-auf-wild.de. Augen auf beim Einkauf im Supermarkt: Dort wird viel TK-Importware aus Neuseeland angeboten, die meist von Wildfarmen stammt.

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