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Wie die Kunst überlebt

Weiter zu existieren, ist ein Problem: Oft genug haben sich Maler*innen, Video-Artists und Bildhauer*innen dem gestellt – und oft genug keinen Ausweg gefunden. Mit Nachdruck bezieht das Sprengelmuseum die Frage nach dem Überleben auf Kunst insgesamt – in einer Ausstellung, die an Aktualität noch gewinnt durch den Lockdown, der sie trifft

Von Bettina Maria Brosowsky

Corona wird uns noch lange beschäftigen, daran besteht kein Zweifel. Kulturinstitutionen, die auf Präsenzangebote setzen, leiden derzeit unter verordneten Schließungen sowie Planungsunsicherheiten, die auch noch das kommende Jahr bestimmen werden. Das Kunstmuseum Wolfsburg etwa hat gleich drei geplante Ausstellungen verschieben müssen, da ein verlässlicher, internationaler Leihverkehr momentan nicht gewährleistet ist.

Besser haben es da schon Museen, die auf umfangreiche und qualifizierte Sammlungsbestände zurückgreifen können, sich zudem unkonventionelle Zugriffe ins Depot trauen. So wird das Sprengelmuseum Hannover ab Mai nächsten Jahres unter dem Motto „BIG!“ mehr als 30 Großformate aus der eigenen Sammlung zeigen, darunter Werke, die noch nie das Licht der Öffentlichkeit erblickt haben. Zu entdecken sein wird etwa Sascha Wiederhold (1904-1962) mit einer knapp vier Meter großen, farbintensiven Malerei von 1928.

Er gehörte zur dadaistischen Avantgarde um Hannah Höch und Raoul Hausmann, hatte bereits 1925 in der Berliner Galerie von Herwarth Walden, „Der Sturm“, ausgestellt. Allerdings: nur wenige Künstlerinnen „rühren in großem Format an“, wie es der Direktor des Sprengelmuseums, Reinhard Spieler, ausdrückt. Die Schau wird also vorrangig „Männlichkeitsgesten“ versammeln: von Baselitz, Gertsch, Penck, Richter.

Mit stärkeren weiblichen Akzenten wird da schon der erwartete Blockbuster zu US-amerikanischer und kanadischer Fotografie aufwarten, der im November 2021 starten soll. Kurator Stefan Gronert spricht gar schon davon, dass die Ausstellung Fotografiegeschichte schrei­ben wird, da sie aus mitteleuropäischer Perspektive die etwas in Vergessenheit geratene Bildkultur des vormaligen Vorreiterkontinents der Fotografie, Nordamerika, inspizieren wird. Dazu wird sich die Sprengelschau in Kooperationsangebote mit dem Kunstmuseum Wolfsburg sowie dem Museum für Photographie in Braunschweig vernetzen.

Leider nicht eröffnen konnte Mitte November dieses Jahres die thematisch ganz brandaktuell anmutende Sonderausstellung „How to Survive: Kunst als Überlebensstrategie“, sie wird nun in der Laufzeit verlängert. Aber natürlich ist sie kein pragmatischer Schnellschuss, sondern wurde, wie üblich bei solchen Vorhaben, von langer Hand konzipiert.

Es geht dann auch nicht ums derzeitige Infektionsgeschehen, sondern um künstlerische Positionen, die sich seit etwa den 1960er Jahren mit existentiellen Fragen auseinandersetzen: die Art und Weise, wie wir Menschen leben wollten, wenn wir es selbst bestimmen könnten, aber auch, wie Krankheit, Tod, komplexe Vernichtung reflektiert wird. Da wäre etwa die Zerstörung der Umwelt, für die Gustav Metzger (1926-2017) schon vor Jahren ein ebenso einfaches wie drastisches Bild fand, „Mirrow Tree“, den verkehrten Baum: ein totes Gehölz, dessen erodierte Krone in Beton steckt, während die nackten Wurzeln als Menetekel in die Höhe ragen.

Der jüdisch deutschstämmige Staatenlose war durch einen Kindertransport nach England dem Holocaust entgangen. Dessen Geschichte wurde unübersehbar Teil seiner Kunst. Auf dem Boden, mit einem Tuch abgedeckt, liegt ein großer Fotoabzug, er zeigt Jüdinnen und Juden, die nach dem „Anschluss“ Österreichs an NS-Deutschland als öffentliche Demütigung das Straßenpflaster in Wien „aufwaschen“ müssen, auf Knien. Das Bild entstammt Metzgers Serie der „Historic Photographs“, die von den Betrachter*innen bewusst freigelegt werden müssen – in Hannover, indem sie auf Knien unter das Tuch krabbeln, das so gelb ist, wie der einst totverheißende Judenstern.

Gustav Metzger war durch einen Kindertransport nach England dem Holocaust entgangen. Der wurde unübersehbar Teil seiner Kunst

Metzger war politischer Aktivist. Ihn beschäftigte das Zerstörungspotenzial des 20. Jahrhunderts. Er erfand dazu seine „Auto Destructive Art“, verfasste Manifeste als Kritik am Kunst-Establishment. In Hannover sind noch einige gestisch rohe Malereien Metzgers auf Walzstahl zu sehen – ohne Rahmen, bedingungslos an die Wand montiert.

Künstler*innen nachfolgender Generationen scheinen sich eher auf individuelle, ganz persönliche Problemlagen ihrer Adoleszenz zu konzentrieren. Die Britin Tracey Emin, 1963 geboren, bezeichnet ihre Arbeit als „Living Autobiography“. In Hannover ist sie mit einem Film vertreten, der ihre Jugend in provinzieller Misogynie nachzeichnet – die Initiation für ihre Lebensentscheidung als Künstlerin in London. Der US-Amerikaner Mike Kelley (1954-2012) verarbeitete in großen, bunten Installationen die Ängste und Verletzungen, die Institutionen wie Schule oder Kunstakademie ausüben können.

Kelley, in der Industriestadt Wayne in Michigan in einem strikt katholischen Elternhaus aufgewachsen, wird der Punk-Art zugerechnet. Am legendären CalArts, dem California Institute of the Arts, hat er seinen Master gemacht, auch lange Jahre dort unterrichtet. Noch immer, acht Jahre nach seinem Tod ist er einer der meistausgestellten Künstler der Gegenwart. Mit einer großen Retrospektive hatte das Stedelijk Amsterdam 2012 seinen Erweiterungsbau eröffnet, die Kelley-Schau der Deichtorhallen im selben Jahr erhielt vor sieben Jahren den Preis der amerikanischen Kunstkritik. In Hannover ist er unter anderem durch seine Installation „Primal-Architecture“ vertreten, also Ur-Architektur. Die entwirft auf einem Stahldiagramm mit bewusst infantilen Formen, die an durchgehärtete, knallbunt eingefärbte Sandkuchen erinnern, eine persönliche Genealogie.

Mike Kelley zählt wohl zu den vielen Künstler*innen, die ihrem Leben selbstbestimmt ein Ende setzten: 2012 war er in seinem Haus in Pasadena bei Los Angeles tot aufgefunden worden. Kunst gelingt also nicht immer als erfolgreiche Selbsttherapie – aber vielleicht als ästhetisches Programm. Für die 1959 geborene Schweizerin Valérie Favres ist der Suizid ein großes Bildthema, die Professorin für Malerei an der UdK Berlin hat für seine verschiedenen Formen intensive Kleinformate gewählt, einem gesellschaftlichen Tabu künstlerische Form gegeben. In ihrer Serie der „Bateau des Poètes“ bettet sie prominente Selbsttöter in magische Sphären zwischen Wasser und Firmament. Aber so todessehnsüchtig will die Ausstellung gar nicht gelesen werden. Kuratorin Carina Plath möchte, sobald es möglich ist, in Gesprächen und ergänzenden Präsentationen die künstlerische Kraft der Krise als läuternde, auch unbekannte Zwischentöne des Daseins erfassende Denkweise aufschließen.

Sprengelmuseum Hannover: How to Survive: Kunst als Überlebensstrategie, bis 28. April

„BIG!“ vorauss. ab 28. Mai 2021

„True Pictures? Nordamerikanische Fotografie im digitalen Zeitalter“ vorauss. ab 6. November 2021

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