piwik no script img

berliner szenenIch esse meine Suppe nicht

Nein, die Jungen sind nicht die schlimmsten

Okay, ich gebe es zu: Die Jungen sind nicht die schlimmsten, ich weiß das selbst. Sie sind halt oft ein bisschen unbedacht, wenn sie bei Corona-Raves Dinge sagen wie, „Hier in der Hasenheide ist Corona schon seit März kein Thema mehr“, bei der Demo gegen das Clubsterben direkt vorm Urban-Krankenhaus den Kranken ein Ständchen zum Sterben wummern oder beim Sonntagsspaziergang direkt durch mich hindurchzugehen versuchen. Doch viel schlimmer sind Leute meines fortgeschrittenen Alters. So wie jener Typ, der ohne Mund-Nasen-Schutz in demonstrativer Seelenruhe seinen Großeinkauf erledigt. Es ist für jeden hier bei Edeka zu spüren: Das ist hier eben keine Nachlässigkeit wie bei den Jungen, das ist das Statement eines Freiheitskämpfers.

„Ich esse meine Suppe nicht, ich wasche meine Hände nicht, bähbäh …“ Diese Castorf’sche Renitenz ist leider allzu typisch für unsere Altersgruppe. Ich merke, dass ich zu wütend bin, um ihn anzusprechen – die Sache würde sofort eskalieren. Ich habe keine Angst vor ihm, ich habe Angst vor mir. Auf das Personal brauche ich nicht zu zählen: Um uns herum wuseln unbeeindruckt Mitarbeiter ohne Maske. Ich sollte mir endlich einen anderen Lieblingsladen suchen. Fürs erste begebe ich mich außer Sichtweite. Nein, die Jungen sind nicht die schlimmsten. Warum ich es dann oft behaupte? In einer exklusiven Homestory direkt aus meinem Hinterstübchen enthülle ich hier und jetzt das große Geheimnis meiner Texte, das Making-of, einen Blick hinter die Kulissen meiner Traumfabrik: Nicht jedes meiner Worte ist auch immer wirklich bare Münze. Sondern Provokation. Doch sobald jemand den eigenen Witz erklären muss, gibt es exakt zwei Möglichkeiten: Entweder ist er selbst zu blöd oder die anderen sind es. Sucht es euch aus.

Uli Hannemann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen