: Das wunderbare Gift des Körpers
Kamel Daoud begegnen im Picasso-Museum Erotik und Radikalismus, was ihn zur Frage bringt, warum seine Herkunftskultur so wütend auf Bilder ist
Von Brigitte Werneburg
Die Einladung seines Verlags an Kamel Daoud eine Nacht im Picasso-Museum zu verbringen, fand 2017 während der Sonderausstellung „Picasso 1932. Année érotique“ statt. 1932 ist Picasso 50 Jahre alt, seine Geliebte Marie-Thérèse Walter halb so alt. Ruhend, schlafend, lesend und schreibend ist sie das beherrschende Motiv der Zeichnungen, Skulpturen und Gemälde, die der Künstler in diesem Jahr für seine bevorstehende erste Retrospektive in der Galerie Georges Petit erstellt. Die atelierfrischen Arbeiten sollen seine nach wie vor ungebrochene malerische wie sexuelle Virilität bezeugen.
Das Unternehmen ist, wie man sich leicht vorstellen kann, ein Gewaltakt. Für den sich als Erotomanen inszenierenden Picasso wie für seine Geliebte, die sagt: „Zuerst vergewaltigt er die Frau, und danach wird gearbeitet.“ Diese Aussage zitiert Kamel Daoud mehrfach. Aber er versteht sie nicht. Er kann sie nicht lesen. Denn Picasso vergewaltigt seine Geliebte nicht, er ist nur ein absolut mieser Liebhaber. Und unglücklicherweise unermüdlich. Er muss ja was bieten, anlässlich der Retrospektive.
Kamel Daoud: „Meine Nacht im Picasso-Museum. Über Erotik und Tabus in der Kunst, in der Religion und in der Wirklichkeit“. Aus dem Französischen von B. Heber-Schärer. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020, 176 Seiten, 20 Euro
Kamel Daoud versteht nur Picassos Besessenheit von der jungen Frau, ihrer Nacktheit, auch wenn die den Schriftsteller, der in einem muslimischen Dorf aufgewachsenen ist, verstört. Er feiert Picassos kannibalistische Lust, sich die Geliebte einverleiben zu wollen, sein Ihr-Nachstellen. Denn Daoud glaubt, „die Erotik ist ein Jagdritual“. Man kann sich leicht ausmalen, zu welchen – erst recht für wirkliche Jäger – befremdenden Bildern und zu welchem Schwulst diese Vorstellung führt: „Marie-Thérèse ist ganz und gar Frau, in ihrer Abgeschiedenheit, ihrer unwiderruflichen Fremdheit, ihrer Hingabe.“ Halleluja.
Sich darüber zu mokieren wäre freilich überflüssig, wäre das Buch nicht in dem Moment aufregend, aufschlussreich und absolut lesenswert, in dem der algerische Schriftsteller Picasso Picasso sein lässt und der Frage nachgeht: Warum ist meine Kultur so wütend auf Bilder (und Karikaturen)? Und auf den Körper, den die Bilder zeigen? Warum verachtet sie das Museum, das die Bilder beherbergt, wo er mit seinem erfundenen Begleiter Abdellah Picasso besucht.
Abdellah, der „Sklave Gottes“, vertritt die Gefühls- und Gedankenwelt der „arabisch genannten Welt“ als dialogisches Gegenüber in Daouds kritischen, Mentalitäten vergleichenden Reflexionen, und Abdellah weiß: „Gott hat alles gesagt, Museen haben dem nichts hinzuzufügen.“ Was selbstredend nicht stimmt, denn das Museum bewahrt zum Beispiel das Davor auf, in Algerien die Überreste römischer Bauten aus der Zeit vor dem Islam. Daher ist das Museum pure Häresie. Es könnten dort die alten Götter, die der Prophet des monotheistischen Gottes ausgelöscht hat, wieder zum Vorschein kommen.
Genauso der Strand, Schauplatz von „Der Fall Meursault“, dem Roman, der Daoud international bekannt machte. Obwohl er der Wüste ähnlich scheint, die auszudehnen, sagt Daoud, die Dschihadisten angetreten sind. Aber der Strand ist der Ort, an dem sich der moderne Mensch sein Eden erschafft. Weshalb sich der heilige Krieg des Islamismus am südlichen Ufer des Mittelmeers auch gegen die Strände richtet.
Und so, schreibt Daoud „wird der Strand zum philosophischen Ort unseres Jahrhunderts. Dort wird getötet, gemordet, doch man entkleidet sich dort.“ Dazu ist er, wie Picasso es in „Figures au bord de la mer“ ganz offen ausstellt, der Ort des einen Körpers des Paares. Worin eine weitere Häresie liegt: Denn „der Körper ist das Gegenteil Gottes, das, was dem Göttlichen entgeht. Denn das Göttliche ist ewig, dem Körper hingegen eignet natürlicherweise die kurze Dauer, sein wunderbares Gift“.
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