Die große AfD-Opfer-Show

Union, SPD, FDP, Grüne und Linkspartei attackieren die AfD, weil sie Querdenker in den Bundestag ließ

Teile der AfD-Fraktion bei der Aktuellen Stunde am Freitag im Bundestag Foto: Kay Nietfeld/dpa

Von Stefan Reinecke

Michael Grosse-Brömer ist ein eher moderater Redner. Doch am Freitagmorgen redet er sich in Rage. Der CDU-Mann hält der AfD vor, „das Ansehen des Parlaments in den Dreck zu ziehen“ und dieses „als Kulisse für ihre Videoclips zu missbrauchen“. Kurz nach neun dreht Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ihm das Mikro ab. Grosse-Brömer hatte seine Redezeit überzogen.

Mehrere AfD-Abgeordnete hatten am Mittwoch Querdenker-Aktivisten in den Bundestag geschleust, wo sie Abgeordnete bedrängten. Marko Buschmann (FDP) attestiert der AfD, sie „erzeuge ein Klima der Bedrohung“ und wolle demokratische Institutionen „in den Schmutz ziehen, weil sie sie hassen“. Stefan Müller (CSU) bezeichnet die Rechtspopulisten als „Feinde der Demokratie“, die sich mit dem Versuch den Bundestag einzuschüchtern, „offiziell aus dem parlamentarischen Diskurs“ verabschiedet haben. Petra Pau (Linkspartei) kritisiert scharf, wie auch Redner von Union und SPD, dass die AfD das Infektionsschutzgesetz als „Ermächtigungsgesetz“ bezeichnet und mit Hitlers Machtergreifung 1933 gleichgesetzt habe. Es kommt im Bundestag selten vor, dass die Beiträge von Union, FDP, SPD, Grünen und Linkspartei fast wortgleich klingen. Aber diese Aktuelle Stunde ist nicht alltäglich. Sie markiert einen Bruchpunkt. Denn die AfD, so CDU-Mann Patrick Schnieder, habe „die orchestrierte Aktion“ bewusst unterstützt.

Und die AfD? Alexander Gauland entschuldigt sich für das „unzivilisierte“ Benehmen der Gäste der AfD-Abgeordneten. Man hätte leider „nicht damit rechnen können“, dass so etwas passiert. Die Aktivisten seien ja auch in das Büro von AfD-Abgeordneten eingedrungen. Gauland erinnert daran, dass auch Klimaaktivisten schon unbefugt im Bundestag für ihre Ziele warben – dass diese dabei niemanden bedrängten, lässt er weg. Zudem habe die Polizei vor dem Bundestag den AfD-Abgeordneten Karsten Hilse zu Boden geworfen. Folgt man Gauland, ist somit die AfD das Opfer der Affäre.

Der zweite AfD-Redner am Pult, Karsten Hilse, bezeichnet das Infektions­schutzgesetz als Ermächtigungsgesetz; damit sei aber nicht 1933, sondern eine Praxis in der Weimarer Republik gemeint. „Schämen Sie sich!“, rief er denen zu, die für das Gesetz gestimmt hatten. Die Polizei sei mit „Wasserwerfern gegen friedliche Demonstranten“ vorgegangen“. Die „Hetzpropaganda der Regierung“ habe die Polizei aufgewiegelt. Das ist die Doppelgesichtigkeit der AfD: Gauland entschuldigt sich pro forma, Hilse adressiert mit Wörtern wie „Ermächtigungsgesetz“ und „Hetzpropaganda“ das rechtsextreme Fußvolk. Die AfD hat sich zum parlamentarischen Arm von Rechtsradikalen und Querdenkern gemacht. Neu ist, dass dies für alle im Bundestag sichtbar wurde. CDU-Mann Schieder fordert, die gesamte AfD vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen.