US-Wahl vor der Entscheidung: Biden schon fast Präsident

In Pennsylvania ist Trumps Vorsprung auf unter 24.000 Stimmen gesunken. Die noch fehlenden werden heute gezählt. Sie dürften Biden den Sieg bringen.

Demonstrant trägt eine Joe Biden Maske und hält ein Schild hoch.

Trump-Unterstützer*innen versammelten sich am Donnerstag in Philadelphia, Pennsylvania Foto: Mark Makela/reuters

BERLIN taz | Am dritten Tag nach der US-Präsidentschaftswahl steht der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden kurz davor, die Marke von 270 Wahlleuten zu überspringen. Im umkämpften Bundesstaat Pennsylvania ist Trumps Vorsprung von 600.000 Stimmen am frühen Mittwochmorgen auf unter 24.000 Stimmen gesunken. Rund 175.000 Briefwahlstimmen müssen dort noch ausgezählt werden, davon viele aus der demokratisch dominierten Region um Philadelphia. Dort wird die ganze Nacht über weitergezählt, ein Ergebnis dürfte im Lauf des Freitags vorliegen.

Gewinnt Biden die 20 Wahlleute aus dem Bundesstaat, liegt er bei 273 Stimmen im Electoral College und hat die Wahl gewonnen. In den Bundesstaaten Arizona und Nevada konnte Biden bislang seinen Vorsprung halten. In Georgia ist Biden, der lange deutlich zurücklag, inzwischen hauchdünn in Führung gegangen, nachdem viele Stimmen aus der Metropolenregion um Atlanta gezählt wurden.

Während Joe Biden in einem kurzen Presseauftritt zur Geduld aufrief und betonte, Demokratie sei manchmal zäh und chaotisch, wiederholte Donald Trump bei einer Pressekonferenz im Weißen Haus seinen Vorwurf des Wahlbetrugs. In Pennsylvania holten die Demokraten heimlich immer neue Wahlurnen aus dem Hinterzimmer, um ihm den Sieg zu stehlen, sagte Trump, ohne dafür irgendeinen Beleg zu liefern. Zähle man die legalen Stimmen, gewinne er mit Leichtigkeit, kämen die illegalen dazu, stehle man ihm den Sieg.

Trumps Team hatte zuvor einen Rechtsstreit gewonnen, in dem es darum ging, dass seine Wahlbeobachter näher an die Auszählungstische herantreten dürfen. Sie können jetzt auf zwei Meter heran – Trump bleibt dennoch bei seinen Betrugswürfen, die selbst die konservative New York Post als vollkommen haltlos bezeichnete.

Angst vor Gewalt vor den Auszählungszentren

Zuvor hatte Trump auf Twitter in Großbuchstaben „STOP THE COUNT!“ gefordert, die Auszählung möge gestoppt werden. Twitter belegte fünf der letzten sieben Tweets des Präsidenten mit dem Warnhinweis, die Aussagen seien „umstritten und möglicherweise irreführend in Bezug auf die Beteiligung an einer Wahl oder einem anderen staatsbürgerlichen Prozess“.

Vor den Auszählungszentren in Städten wie Las Vegas (Nevada), Phoenix (Arizona), Detroit (Michigan) und Philadelphia (Pennsylvania) versammelten sich am Donnerstag Trump-Anhänger*innen und skandierten ebenfalls „Stop the Count“ („Stoppt die Auszählung“). In Phoenix kamen am Donnerstag etwa 100 Demonstranten zusammen, einige trugen Gewehre und Pistolen. Laut Gesetz im US-Staat Arizona ist das offene Tragen von Waffen erlaubt. Allerdings waren diese Demonstrationen bislang nicht groß und trotz aggressiver Stimmung kam es nicht zu Gewaltausbrüchen.

Facebook verbot derweil eine große Gruppe, deren Mitglieder zu einem Auszählungsstopp aufgerufen hatten. Es gab „besorgniserregende Aufrufe zu Gewalt von einigen Gruppenmitgliedern“, wie das soziale Netzwerk mitteilte. Die Gruppe „Stop the Steal“ hatte mehr als 350.000 Mitglieder, bevor Facebook sie entfernte, sie war jedoch nur eine von mehreren Gruppen. Inhalt waren unbegründete Behauptungen über angeblichen Wahlbetrug und die Organisation von Protesten.

Das Center for Countering Digital Hate („Zentrum zur Bekämpfung digitalen Hasses“), das Facebook zum Entfernen der Gruppe „Stop the Steal“ aufgefordert hatte, veröffentlichte einen Screenshot eines Gruppenbeitrags – in dem stand: „Keine der beiden Seiten wird einlenken. Zeit, die Waffen zu reinigen, Zeit, auf die Straße zu gehen.“

Führende Republikaner weisen Trump zurecht

Auffällig ist, dass weder Trumps Haussender Fox News noch führende Republikaner*innen sich Trumps Vorwürfe zu eigen machen. „Es gibt keine Rechtfertigung für die Äußerungen des Präsidenten heute Abend, die unseren demokratischen Prozess untergraben“, schrieb der republikanische Gouverneur von Maryland, Larry Hogan, auf Twitter. In einem Interview mit dem Sender PBS warf er Trump und dessen Lager vor, mit Warnungen vor der Briefwahl den Boden für das jetzige Vorgehen – das Anzweifeln der Ergebnisse – bereitet zu haben. Hogan ist der Vorsitzende der Nationalen Vereinigung der Gouverneure.

Der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, sagte, es sei grundsätzlich nicht ungewöhnlich, dass sich jemand zum Sieger einer Wahl ausrufe, wie Trump das – wenn auch vorschnell – getan hatte. Aber: „Zu behaupten, die Wahl gewonnen zu haben, ist etwas anderes, als die Auszählung zu beenden.“

Senator Marco Rubio, Republikaner mit kubanischen Wurzeln aus Florida, wies Trump bereits via Twitter zurecht: „Dass es Tage dauert, legal abgegebene Stimmen zu zählen, ist KEIN Betrug.“ Seine Senatskollegin Lisa Murkowski aus Alaska mahnte, dass „alle geduldig sein“ müssten, während Ergebnisse eintrudelten. Es sei wichtig, den Beamten der Wahlbehörden Zeit zu geben, ihre Arbeit zu machen. Es gelte, alle legal eingereichten Stimmen zuzulassen und zu zählen.

Der Kongressabgeordnete Adam Kinzinger forderte, für Betrugsvorwürfe Beweise vorzulegen und sie vor Gericht zu präsentieren. „Hören Sie auf, entlarvte Falschinformationen zu verbreiten … Das wird langsam verrückt“, schrieb er auf Twitter.

Mehr Stimmen als je zuvor

Allerdings fand Trump auch Unterstützer: Der einflussreiche Vorsitzende des Justizausschusses im US-Senat, Lindsey Graham, stellte sich auf die Seite von Trump und spendete 500.000 Dollar für dessen Anwaltsfonds.

Der texanische Senator Ted Cruz trat beim Trump-Sprachrohr Sean Hannity auf Fox News auf und unterstützte Trumps Aussagen über einen Wahlbetrug. Zuvor hatten Trumps Söhne sich auf Twitter über mangelnde Unterstützung republikanischer Führungsleute geklagt und gewarnt, jene, die sich Hoffnungen auf eine Kandidatur 2024 machten, setzten ihre Karriere aufs Spiel, wenn sie jetzt kein Rückgrat zeigten.

Im für den Wahlausgang unbedeutenden „popular vote“, also der Gesamtzahl der landesweit abgegebenen Stimmen, liegt Biden inzwischen über vier Millionen Stimmen vor Donald Trump. Mit fast 74 Millionen Stimmen hat er mehr Stimmen erhalten als jeder Präsident vor ihm. Allerdings hat auch Donald Trump mit fast 70 Millionen Stimmen deutlich mehr Zuspruch erfahren als etwa Hillary Clinton 2016 oder selbst Barack Obama bei seinem fulminanten Wahlsieg 2008.

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Am 3. November 2020 haben die USA einen neuen Präsidenten gewählt: Der Demokrat Joe Biden, langjähriger Senator und von 2009 bis 2017 Vize unter Barack Obama, hat sich gegen Amtsinhaber Donald Trump durchgesetzt.

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