: Das ist Gegenwartsmusik
Im Rahmen des digitalen Festivals „Das Verschwinden der Musik“ im Haus der Kulturen der Welt veranstalteten Mouse on Mars eine Art transatlantische Schaltkonferenz
Von Robert Mießner
Mit einem US-amerikanischen Klassiker ist am Samstag im Haus der Kulturen der Welt (HKW) ein schwer klassifizierbarer Berliner Abend ausgeklungen: „That’s How Deep My Love Is“ war da zu hören, jene Soulballade von Roosevelt Jamison, die für Otis Redding der Signature Song werden sollte.
Jan Stephan Werner und Andi Toma, die Musiker des Elektronikduos Mouse on Mars, hatten eine Version des Stücks an das Ende einer audiovisuellen Performance gesetzt; das schöne Lied hatte mächtig zu kämpfen, als es sich gegen eine Vielzahl fragmentarischer Geräusche behaupten musste.
„Escape from America [Total Recall]“ lautete das einem Gefängnisdrama der späten Siebziger von Don Siegel und einem Arnold-Schwarzenegger-Film Paul Verhoevens aus den frühen Neunzigern entlehnte Motto des von Susanna Bolle und Annette Klein kuratierten, im Livestream zu verfolgenden Abends. Werner und Toma machten dabei im publikumsleeren Saal den Eindruck, als stünden sie im Maschinenraum eines unerhörten Unterseeboots.
Eigentlich hatte im HKW ein groß angelegtes Festival über die Bühne gehen sollen. Es wollte Fragen nachgehen, die sich durch die technischen Entwicklungen der letzten Jahre aufdrängen, ob Musik ohne MusikerInnen, Instrumente und Tonträger denkbar wäre und wie leicht zugängliche Smartphone-Software die Musik und das Live-Erlebnis verändern. „Das Verschwinden der Musik“ sollte das vor Corona gewählte Festivalmotto sein und blieb es auch, nachdem das Virus dem Titel noch mal eine zusätzliche Aktualität verschafft hat: Musik im öffentlichen Raum findet zurzeit in Berlin, wenn überhaupt, unter U- und S-Bahn-Bögen statt. Das ist ärmlich, während weiterhin konsumiert wird. Und irgendwie passte da einer der vielen sich überlagernden Sprachfetzen aus der Performance von Werner und Toma sehr gut: „Citizen Profit“ hieß es da plötzlich.
Dabei schauten Werner und Toma von ihrem Instrumententisch voller elektronischer Klangerzeuger über den großen Teich, sie hatten eine Art transatlantische Schaltkonferenz einberufen. Von Berlin-Tiergarten aus ging es in vier Städte der USA und wieder zurück: In Chicago nahm die Multimediakünstlerin Olivia Block teil, aus New York klinkte sich der Theoretiker DeForrest Brown Jr. ein. In Boston spielte Forbes Brown Trompete über dem Computer, aus Providence war die improvisierende Musikerin und Lyrikerin Bonnie Jones zu hören.
„Escape from America [Total Recall]“ ist ein circa einstündiges, kompaktes Stück aus mehreren Segmenten geworden: Instrumentale, rhythmische Passagen wechseln sich mit Stimmcollagen ab und gehen ineinander über.
Straßen- und Verkehrslärm sind zu hören, dazu die Rede von Trump als „unserem Präsidenten für die nächsten vier Jahre“. „Wir haben nichts zu verlieren außer unseren Ketten“, wiederholt ein Chor, aber: „Trump, das sind auch wir“, heißt es an anderer Stelle. In der Musikspur sind Töne wie aus Videospielen zu hören, Schüsse, dazu Kurzwellengeräusche und die Sounds von Klangblechen auf einer Trommel.
Grobkörnig die TeilnehmerInnen auf den im Raum angeordneten Videowänden, die verschachtelt an das Spiegellabyrinth eines Jahrmarkts erinnern. Das Ganze ist disparat und fragmentarisch und gerade damit eine politische Performance, die das nicht extra betonen muss.
Eine Ironie der Geschichte: Den Abend zuvor hatten sich die KünstlerInnen Holly Herndon und Mat Dryhurst im Livestream mit der britischen Historikerin Frances Stonor Saunders über ihr Buch „Wer die Zeche zahlt“ (Siedler Verlag) unterhalten in einem Haus, das den Namen des US-amerikanischen Antikommunisten und Außenministers John Foster Dulles in seiner Adresse führt. In ihrer 2001 auf Deutsch erschienenen Studie untersucht Saunders, wie die CIA nach dem Zweiten Weltkrieg den Kommunismus kulturell kontern wollte.
Eine dezente Anmerkung, weil es im Gespräch auch um Jazz und Malerei ging: Das Experimentelle, Moderne in der Kunst war nach dem Ersten Weltkrieg eine durchaus linke Domäne. Warum sie von einer dogmatischen Kulturpolitik aufgegeben wurde, wäre auch ein Thema; dass es anders geht, darf als gesichert gelten.
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