Osman Engin Die Corona-Chroniken
: Die Corona-Streithähne

Foto: privat

Osman Engin ist Satiriker in Bremen. Er liest seine Geschichten im Radio bei Cosmo unter dem Titel „Alltag im Osmanischen Reich“. Sein Longseller ist der Krimi „Tote essen keinen Döner“ (dtv).

Ich fahre wie immer zum Krankenhaus, um meinen täglichen Coronatest zu machen und lande in der Notaufnahme, weil heute Sonntag sein soll. In der häuslichen Quarantäne habe ich die Wochentage längst vergessen. Selbst mit den Monaten hadere ich so langsam. Wenn ich auch noch mit den Jahreszahlen durcheinander komme, dann war der Alzheimer schneller als Corona.

In der Notaufnahme gerate ich prompt in ein Corona-Streitgespräch. Aber noch derber und volkstümlicher, als wir es allabendlich im Fernsehen in den Corona-Talkshows erleben. Vielleicht entstehen die Unstimmigkeiten aber auch dadurch, weil die beiden Streithähne nicht dieselbe Sprache sprechen.

Der Türke, der kein Wort Deutsch versteht, brüllt aus Leibeskräften mit hochrotem Kopf auf Türkisch: „Diese Idioten werden mich hier mit Corona anstecken! Ich kam mit Erkältung hierher, werde mit Corona gehen! In jedem Bahnhofsklo in der Türkei herrschen bessere hygienische Bedingungen als hier in der Notaufnahme. Ich werde sie alle verklagen!“

Die Schwester, die mit den Nerven ohnehin am Ende ist, brüllt auf Deutsch zurück: „Dann geh doch zurück zu deinem Erdoğan, wenn dort alles besser ist, du Idiot! Gleich rufe ich die Bullen und lasse dich rausprügeln!“

Der Türke schimpft sofort zurück: „Erdoğan kadar tas düssün kafana!“ Ein sehr beliebtes Argument unter Türken bei einer Diskussion: „Ein großer Stein wie Erdoğan soll auf deinen Kopf knallen“, heißt es.

Dann fragt der Türke mich mit großen Augen: „Was meinte denn die blöde Ziege eben mit Erdoğan?“

Sofort bemühe ich mich wie immer um Völkerverständigung. „Sie entschuldigt sich, Ihnen nicht die gleichen hygienischen Bedingungen bieten zu können, wie Sie es in Ihrer Heimat von Erdoğan gewohnt sind“, übersetze ich nicht ganz originalgetreu.

„Wirklich? Ich hatte fast das Gefühl, als würde sie mich beschimpfen.“

„Das täuscht manchmal. Deutsche Sprache – harte Sprache.“

„Was plappert der Idiot denn immer noch?“, fragt die Schwester mich barsch.

„Er sagt, er möchte sich bei allen Krankenschwestern in Deutschland bedanken, die seit Monaten Übermenschliches leisten.“

„Tatsächlich? Ich hatte fast den Eindruck, dass er spinnt.“

„Was meint sie?“, fragt der Türke wieder neugierig.

„Sie sagt, sie würde als Krankenschwester für die türkischen Mitbürger sogar ihr Leben opfern.“

Dem Türken kullern zwei Tränen über die Wangen.

„Ich will mich bei ihr entschuldigen“, seufzt er beschämt.

„Was sagt der junge Mann?“, fragt die Schwester zuckersüß.

„Er will Sie unbedingt küssen.“

„Das soll er. Aber nur mit dem Mundschutz.“