: Zicke, zacke, Zielcke II
Turners Meisterschreiber, Adrian Zielcke, hat sich in der Wortwahl vergriffen. Seine Kolumne zierte ein Nazispruch. Jetzt ist der Ex-StZ-Mann nur noch „unabhängig“
Von Anna Hunger
Dass man sich mal in der Wortwahl irren kann, steht außer Frage und hat ja manchmal sogar einen gewissen Charme. Andi Möllers „Mailand, Madrid, Hauptsache, Italien“ oder „Wenn Sie vom Hauptbahnhof in München mit zehn Minuten ohne dass Sie am Flughafen noch einchecken müssen, dann starten Sie im Grunde genommen am Flughafen“ von Edmund Stoiber, selbst Wolf Schneider, der Papst der deutschen Sprache, sagte mal was wie: „Eines Tages wacht man auf, und man ist tot.“
Das passiert einfach. Oft aus Ungeschick, manchmal aus Blödheit, vor allem dann, wenn man nicht vorher drüber nachdenkt, was man zu sagen hat. Um Schlimmeres zu vermeiden, sollte man Letztes aber dringend tun. Bestes lokales Beispiel derzeit: Adrian Zielcke, Journalist und Schreiber, momentan für OB-Kandidat Sebastian Turner. Für dessen Homepage schreibt er eine 0Wahlkampfkolumne – „unabhängig“ natürlich, für einen „unabhängigen Kandidaten“, das betont er recht häufig. Zielcke hat sich kürzlich nicht versprochen, eher verschrieben, was eigentlich noch schlimmer ist.
Er nannte seine Kolumne auf der Turner-Seite „furchtlos und frei“. Klingt ja auch irgendwie romantisch, nach stolzem Ritter, edlem Piratentum, Tapferkeit und Courage, das Schwert erhebend für die gute Sache (in diesem Falle Sebastian Turner), furchtlos wie Blackbeard, grenzenlos wie Robin Hood, James-Dean-Feeling mit einer Prise Artusrunde.
Zumindest die Idee war so schlecht nicht
Inspiriert worden zu diesem leu0chtenden Stern der Titelfindungskunst sei er von Baden-Württembergs Wappenspruch: „Furchtlos und treu“, 1817 als „furchtlos und trew“ von König Wilhelm I. unter die württembergischen Hirschstangen gestanzt. Steht ja auch, so sagt Adrian Zielcke, auf jeder Hofbräu-Bierflasche, und was auf Bierflaschen steht, kann ja grundsätzlich so schlecht nicht sein. „Daraus habe ich, freiheitsliebender und freier Autor, der ich bin, ,furchtlos und frei‘ gemacht“, schreibt Zielcke zur Erklärung seiner Titelei. Andi Möller würde hier so was sagen wie: „Ich hatte vom Feeling her ein gutes Gefühl.“
„Treu“ und „frei“ – schon in der Zahl der Buchstaben gleich, haben beide diese phonetische Klimax am Ende des Wortes, will sagen: klingt beides irgendwie gut. Wobei sich „treu“ dann doch eher nach Hundeleine und Vaterlandsliebe anhört, irgendwie unsexy und nazig. „Frei“ ist da was anderes. Dieses Gefühl der Selbstbestimmung, der absoluten Autonomie, der Coolness des Gesetzeslosen samt Konnotation von Französischer Revolution, Abenteuer, Ruhm und Ehre, und wenn schon der Bundespräsident dieses Wort zu seinem Lieblingswort gemacht hat, kann auch das nicht falscher sein als auf den Bierflaschen.
Für die Nationalsozialisten war „Freiheit“ aber auch ein Begriff. Das Volk in Nazideutschland war offiziell genau vier Dinge: größtenteils treu, ansatzweise furchtlos, deutsch natürlich und – genau – frei.
Kann ja mal passieren …
Die Deutsche Wehrschaft, der Dachverband der sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts immer stärker arisierenden deutschen Studentenverbindungen, hat sich diese vier großen Tugenden schließlich zum Wahlspruch gemacht. „Deutsch und treu, furchtlos und frei!“ Die Wehrschaften setzten sich ein für die Verbreitung militärischen Wissens in der Studentenschaft, vor allem für die allgemeine Wehrpflicht, die durch den Versailler Vertrag verboten wurde. Ein Haufen Akademiker, prominentestes Mitglied war Hermann Göring, die fanden: „Juden sind bar jeder Ehre; ihnen ist daher auf keine Waffe Satisfaktion zu geben.“
Später gründete die Deutsche Wehrschaft mit einigen anderen Hardliner-Verbänden den Völkischen Waffenring, dem „nur solche Verbände angehören, die in ihren Gliederungen weder Judenstämmlinge, jüdisch Versippte noch Angehörige von Logen, Orden oder ihren Nachfolgeorganisationen dulden“. Anlässlich des NSDAP-Parteitags am 14. September 1935 löste sich die Deutsche Wehrschaft auf. Die allgemeine Wehrpflicht war durchgesetzt, Ziel erreicht. „Furchtlos und frei“ war verschwunden in der Kriegs- und Nachkriegsgeschichte. Zumindest bis Turners Meisterschreiber Adrian Zielcke den Spruch wieder aus der Versenkung geholt hat.
Kann ja mal passieren, dass man nazideutsches Wortgut auf die Homepage eines OB-Kandidaten bringt. Vielleicht einer generellen Unabhängigkeit geschuldet, vielleicht war's auch Schlamperei des ehemals beliebtesten Autoren und langjährigen Politik-Ressortchefs der StZ.
Er hat sich dann auch entschuldigt, der Zielcke.
„Jetzt schreibt ein kundiger Rechercheur, dass just diese Formulierung (und übrigens auch alle Bestandteile des Württemberg-Mottos) von einer Gruppe ge- und missbraucht worden sein soll, die am Untergang der Weimarer Republik mitgewirkt hat. Ich danke für den Hinweis, offenbare meine Unkenntnis dieses Hintergrundes und bin mit diesem neuen Wissen jetzt so frei, den Namen der Kolumne umgehend zu ändern. Jetzt heißt die Rubrik ‚Die Zielcke-Kolumne – unabhängig für Stuttgart‘, und ich bitte alle, die mehr wussten als ich, um Pardon für eine nicht beabsichtigte Deutung. Machen wir uns wieder auf in den demokratischen Meinungsstreit.“ Die Entschuldigung stand wohl mal kurz auf der Turner-Homepage.
Autsch!
Unter Adrian Zielckes Texten steht: „Er (Zielcke) erhält für diese Beiträge kein Honorar, dafür aber viel Zuspruch.“ Folgt man den Kommentaren findet er tatsächlich viel Spruch, aber wenig „zu“.
Da schreibt eine Olivia P. Moore: „Da Herr Zielcke ausdrücklich darauf hinweist […], ‚beliebtester Autor‘ bei der ,Stuttgarter Zeitung‘ […] zu sein, und das in Anführungszeichen gesetzt, muss es also ironisch gemeint sein.“
Oder ein Christian Spiegel: „ ‚Freiheitsliebender und freier Autor, der ich bin‘, was für ein Schleimer!“
Oder Steve Boyson Outraged 21+: „Haben wir es hier – mal wieder in BaWü – mit einer Naziglorifizierung zu tun? Oder hat das journalistische Geschick des Herrn Zielcke hier versagt? Beherrscht er gar sein Handwerk nicht?“
Oder Lena Keuerleber: „In Anlehnung an den württembergischen Wappenspruch ‚Furchtlos und treu‘. Autsch … grammatikalisch und geschichtlich fragwürdig.“
Genau. Autsch! Besser kann man es nicht formulieren.
Die Stuttgarter Zeitung mag sich nicht mit der Entgleisung ihres ehemaligen Starschreibers auseinandersetzen. Joachim Dorfs, Chefredakteur der StZ, schreibt der Kontext:Wochenzeitung: „Seit seinem Ausscheiden bei der ‚Stuttgarter Zeitung‘ ist Adrian Zielcke Privatmann und nicht mehr unser Autor. Insofern habe ich die von Ihnen genannten Aussagen von Herrn Zielcke – die ich im Übrigen gar nicht gesehen habe – nicht zu kommentieren.“
Turner hat „Verständnis“
Und das Büro Turner findet den Vorgang eigentlich auch so schlimm nicht, schreibt doch Susanne Wetterich, Sprecherin des Turner-Kampagne: „Wir finden die Überlegung von Herrn Zielcke verständlich, durch den Kolumnentitelwechsel auch nicht die Spur eines Zweifels daran aufkommen zu lassen, dass es keinerlei inhaltliche Übereinstimmung mit dem bis vor Kurzem nicht bekannten Verwender dieses Mottobestandteils im letzten Jahrhundert gibt.“
Immerhin. Verständnis ist der erste Weg zur Besserung – oder so.
Bliebt eine Empfehlung von Mehmet Scholl: „Ich fliege irgendwo in den Süden – vielleicht nach Kanada.“ Und wenn das nicht geht, Herr Zielcke, „nicht den Sand in den Kopf stecken“. Tipp von Lothar Matthäus.