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Die Armen trifft es stärker

Benachteiligte Stadtteile in Bremen sind deutlich mehr von der Coronapandemie betroffen. Bei Expert*innen und Politiker*innen kursieren dafür verschiedene Erklärungen

Von Jan Zier

Ärmere Menschen sind in Bremen gesundheitlich derzeit deutlich stärker von der Corona-Pandemie betroffen als wohlhabendere. Das geht aus einer kleinräumigen Untersuchung auf Stadtteilebene hervor, die das zuständige Gesundheitsressort erstellt hat. Die Statistik sagt aber nichts darüber aus, wo sich die Menschen mit dem Virus angesteckt haben.

Jedoch verzeichnet der Stadtteil Tenever gegenwärtig offiziell 15 Infektionen pro 1.000 Einwohner*innen, in Gröpelingen sind es zwölf – in Schwachhausen, Borgfeld, Oberneuland oder dem Viertel aber nur vier bis fünf. Damit sind jene Stadtteile am stärksten betroffen, die stadtweit auch die meisten Hartz-IV-Empfänger*innen, die höchsten Anteile an Menschen mit Migrationshintergrund und die geringsten Durchschnittseinkommen haben. Auch ist schon länger bekannt, dass die mittlere Lebenserwartung in Schwachhausen und Oberneuland am höchsten, in Gröpelingen aber am niedrigsten ist. Und während die Bewohner*innen Tenevers im Schnitt 31 Quadratmeter bewohnen können, sind es in Oberneuland doppelt so viele.

Damit zeigt sich auch in Bremen, was sich anderswo schon früher gezeigt hat. So gibt es Untersuchungen aus den USA, denen zufolge das Infektionsrisiko für schwarze und hispanische US-Amerikaner*innen dreimal so hoch ist wie für weiße, die im Schnitt wirtschaftlich besser dastehen. Ein britisches Forscherteam der University of Oxford hat in einer groß angelegten Untersuchung herausgefunden, dass das Sterberisiko bei Männern um 60 Prozent höher ist als bei gleichaltrigen Frauen. Im gleichen Bereich lag auch das erhöhte Risiko für schwarze und asiatische Personen gegenüber Weißen und für arme und benachteiligte Menschen gegenüber Bessergestellten.

„Das Infektionsrisiko von Arbeitslosen, Armen und sozial Abgehängten ist deutlich höher als das von Reichen“, sagt auch der Kölner Armutsforscher Christoph Butterwegge. Er führt dafür im Wesentlichen drei Gründe an: Sozial bedingte Vorerkrankungen wie Fettleibigkeit, Asthma, Rheuma oder Diabetes, katastrophale Arbeitsbedingungen wie etwa in der Fleisch-industrie sowie beengte und hygienisch bedenkliche Wohnverhältnisse erhöhten das Risiko sowohl für eine Corona-Infektion als auch für einen schweren Krankheitsverlauf. In Deutschland treffe die „zynische Grundregel zu: Wer arm ist, muss früher sterben“, sagt Butterwegge. Auch bei jungen Patient*innen machen starkes Übergewicht oder Diabetes einen schweren Krankheitsverlauf wahrscheinlicher, sagen Forscher*innen aus Boston.

Für Deutschland kam das Robert-Koch-Institut (RKI) in einer neueren Studie zu dem Ergebnis, dass zwar in der frühen Phase der Epidemie wohlhabendere Kreise zunächst stärker betroffen waren als jene, die sich keine Urlaubsreisen leisten konnten. Der weitere Verlauf des Ausbruchsgeschehens lasse aber zumindest „befürchten“, dass „benachteiligte Menschen stärker von COVID-19 betroffen sein könnten und sich vorbestehende gesundheitliche Ungleichheiten möglicherweise verschärfen“, so das Fazit des RKI.

Die Menschen in Tenever oder Gröpelingen seien kommunikativer, lebten enger und stärker zusammen, sagt der Bremer Virologe Andreas Dotzauer, Professor an der Uni Bremen – „ich denke schon, dass das eine ganz wichtige Rolle spielt“.

In der zweiten Phase der Pandemie werden soziale Faktoren offenbar wichtiger, sagt das Robert-Koch-Institut

Die Gesundheit sei schon immer eng mit der sozialen Frage verbunden gewesen, heißt es in der Analyse des Gesundheitsressorts – Covid-19 stelle da keine Ausnahme dar. Als Gründe für eine Häufung von Corona-Infektionen in benachteiligten Stadtteilen werden beengte Wohnverhältnisse, niedrige Einkommen, prekäre Jobs sowie der hohe Migrationsanteil angeführt.

Der Bremer CDU-Gesundheitspolitiker Rainer Bensch machte bei Radio Bremen unter anderem nicht deutsche Großfamilien verantwortlich, die trotz Corona mit vielen Menschen Familienfeste gefeiert hätten. Das trug ihm scharfe Kritik der Linkspartei ein: „Solche Aussagen kennt man bisher nur von der AfD.“ Allerdings sagte auch der Gröpelinger SPD-Parlamentarier Muhammet Tokmak dem Sender: „Wenn es heißt, Familien dürfen sich treffen, kann es schnell angehen, dass man sich mit 15 oder 20 Mitgliedern in einer 80-Quadratmeter-Wohnung trifft.“

Der für Tenever zuständige Ortsamtsleiter Ulrich Schlüter sieht das Problem indes eher im niedrigen Bildungsstand und den fehlenden Sprachkenntnissen vieler Menschen in den Hochhaussiedlungen. Er vermutet, dass die Hinweise auf Deutsch oftmals schlicht gar nicht gelesen werden könnten.

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