: Das Kabinett unter Kanzler Heino beschließt Gegenmaßnahmen
1985: Mitglieder der Regierung werden in Berlin von der Untergrundgruppe „Goldener Oktober“ entführt. Knut Hoffmeister zeigt den Director’s Cut von „Goldener Oktober“ im Klick Kino
Von Guido Schirmeyer
Die Angst des Künstlers vor dem Lockdown: Der Schöneberger Experimentalkünstler Knut Hoffmeister bangte um seinen Abend im Klick Kino. Doch Glück gehabt, sein „Goldener Oktober“ über eine fiktive Terrortruppe läuft am Samstag wie geplant. Das ambitionierte Haus am Stuttgarter Platz unter Leitung des neapolitanischen Film-Aficionados Christos Acrivulis hat Hoffmeisters Underground-Film ins Programm genommen.
Vor 35 Jahren lief das Werk als „Kleines Fernsehspiel“ im ZDF-Programm. Allein die illustren Akteure aus der Zeitdoku des Szene-Bohemiens Knut Hoffmeister garantieren ein Geistertreffen. Mit Kippenberger, Blixa Bargeld, Kiddy Citny, Gudrun Gut, Alexander Hacke, dem Wahren Heino, Effjott Krüger von Ideal und der Ex-Toten-Hose Trini Trimpop, um nur einige zu nennen. Und gibt es ein besseres Setting für eine maskierte Zeitreise in die wilden Westberliner Achtziger als Halloween mit Vollmond?
„Die Idee zum Film kam Anfang der Achtziger aus Ablehnung des ‚Schwarzen September‘, jener Terrortruppe, die 1972 das Münchner Olympia-Attentat verübte. Auf der anderen Seite hatten wir Helmut Kohl. Auch grauenhaft. Da habe ich mir eine eigene Regierung ausgedacht, mit Zazie als Kriegsministerin für Angriff“, erzählt Hoffmeister, der seit Jahrzehnten zwischen Charlottenburg und Thailand pendelt.
Sein Film spielt 1985: Mitglieder der Regierung werden in Berlin von der Untergrundgruppe „Goldener Oktober“ entführt. Das Kabinett unter Kanzler Heino beschließt Gegenmaßnahmen. Politiker ziehen in ein Abbruchhaus und lenken von dort die Staatsgeschäfte. Doch als zwei Spione auf den „Goldenen Oktober“ angesetzt werden, bricht Chaos aus. Spielerisch führe die Satire ein Lebensgefühl zwischen den Extremen „No Future“ und „Die Zukunft gehört uns“ vor, so die offizielle Beschreibung. Flirrendes Trash-Kino rast da über die Leinwand, macht schwindlig.
Als Taxifahrer mit Abitur kutschierte Hoffmeister damals Iggy Pop durch die Berliner Nächte. „Was er denn so toll an Berlin fände, fragte ich Iggy. Und der: Die Mauer drumrum. Hält die Arschlöcher draußen.“ Eine Zeit lang assistierte Hoffmeister dem damaligen Platzhirsch Martin Kippenberger bei dessen Kunstzeitung Sehr gut im Kippenberger-Loft am Erkelenzdamm, um die Ecke vom SO36. Prägende Zeiten.
Als Mitbegründer der Genialen-Dilletanten-Kapelle Notorische Reflexe ist Hoffmeisters Lebens-Hit, der „Brezhnev Rap“, noch heute ein Ohrwurm. Der Videoclip zum Song mit Aufnahmen unter anderem aus dem Warenhaus GUM zeigt den typischen Hoffmeister-Strich, den er mit seinen Kameras malt. „1983 bin ich mit meiner damaligen Freundin Andrea, einer kleinen Super-8-Kamera und einem schönen Stückchen Haschisch nach Moskau geflogen, um für unsere Notorischen Reflexe Material zu filmen. Straßenszenen, U-Bahn, Roter Platz. Kurz vorm Rückflug kaufte ich noch eine LP mit einer Rede des Generalsekretärs der KPdSU, Leonid Breschnew, vor dem Obersten Sowiet, so was konnte man am Kiosk kaufen, um Breschnews Worte noch einmal zu Hause oder in der Datscha nachzuhören. Aus der Platte und meinem Schwarzweiß-Filmmaterial entstand dann der ‚Breschnew Rap‘“, erinnert sich Hoffmeister.
„Im März 1990 bin ich dann als ‚Co-Pilot‘ mit einem dubiosen Kumpel in einer einmotorigen Piper Arcer ‚im Auftrag Ihrer Majestät‘ über Danzig und Vilnius ein weiteres Mal nach Moskau geflogen. Ich suchte nur das Abenteuer und ahnte nicht, dass mein Pilot als kleiner Spion für den Geheimdienst tätig war. Wir sollten auskundschaften, wie sich die russische Flugsicherheit zu der Tatsache verhielt, dass sich Litauen einseitig unabhängig erklärt hatte. Tatsächlich gab es Schwierigkeiten beim Anflug auf Moskau, wir sind dann ganz schnell umgedreht. Die hätten uns sonst abgeschossen. Eine Nummer wie mit dem Rust drei Jahre zuvor würden die Russen sich nicht noch einmal bieten lassen. Am Tag darauf versuchten wir es wieder, dann klappte es – total stoned über dem russischen Luftraum.“
1985 ist Hoffmeister noch bei den Notorischen Reflexen und dreht neben kleineren Clips „Goldener Oktober“ für das Kleine Fernsehspiel des ZDF.
In seinem Archiv am Los-Angeles-Platz lagert so viel Material, dass Hoffmeister, ein versierter Cutter, nun wieder schlaflose Nächte lang an seinem „Goldenen Oktober“ frickelt. Immer wieder Szenen rausschmeißt, die ihm heute kindisch vorkommen, oder Szenen mit neuen Sounds unterlegt. „Letzte Nacht habe ich noch eine Straßenschlacht von 1982 eingefügt und mit Disko unterlegt. Die Bullen kriegen eins auf die Fresse, und dazu läuft ‚He’s The Greatest Dancer‘“, erzählt er.
Hoffmeisters Muse und Hauptdarstellerin Zazie de Paris schwelgt in Erinnerungen an die turbulenten Dreharbeiten in der Reichstagsruine: „Mit bösem Margret-Thatcher-Blick stieg ich in einem goldenen Punk-Lederkleid, maßgeschneidert von Neunfinger-Kuri, aus einem Bentley und sollte an die Berliner Mauer pinkeln.“
Im selben Atemzug vermischen sich Zazies Memoiren. Plötzlich steht sie 1989 vom Regen durchnässt bei einer Riesenshow zum 200-jährigen Jubiläum der Französischen Revolution auf der Reichstagswiese, „und Charles Aznavour holte mich in seinen Wohnwagen und half mir, mich zu trocknen“.
Geblieben ist vielen Akteuren der Achtziger das Leben in der Nacht. Denn die Nacht sang ihre Lieder. „Corona trifft uns besonders hart“, seufzt Zazie, „wo sollen wir denn jetzt noch hin? Niemals wird der Tag mich zähmen. Ich bin mit der Nacht verheiratet, und das ist gut so.“
Zuflucht findet Zazie de Paris in „meiner neuen Kulturoase Klick“, mitunter jeden Abend schaut sie dort Filme und dinniert im Café-Restaurant. Vor Kurzem genoss Zazie im Klick die Deutschlandpremiere der ergreifenden Doku über Montgomery Clift von dessen jüngstem Neffen Robert Anderson Clift, moderiert von Wieland Speck. Der wiederum zeigte seinen „David, Montgomery & Ich“ als Vorfilm – ein kleines Meisterwerk von 1981 aus San Francisco, das damals auf der Berlinale lief.
Dank des cleveren Konzepts des bestens vernetzten künstlerischen Leiters des Klick, Christos Acrivulis, steht im Klick jeden Monat ein Prominenter Pate – und bietet das Kino ein abwechslungsreiches Programm. Als Filmverleiher hat Acrivulis unter anderem sämtliche Praunheim-Filme im Repertoire. Praunheims geplante Feier zu seinem 78. Geburtstag dürfte aber wohl der Pandemie zum Opfer fallen.
Acrivulis glaubt an die Kraft des Kiezkinos. Will Bezug zu Charlottenburg nehmen. Muss nicht um die Welt fliegen, um Filme zu suchen, sondern findet sie vor der Tür. Bleibt zu hoffen, dass das Café Klick das Kino über Wasser hält. Im großräumigen Café gibt’s Lesungen, Gespräche, Klaviermusik und Vino. Ins Kino lässt Acrivulis derzeit noch 23 Zuschauer rein, mit zwei Meter Abstand zwischen den Sitzen.
Die Vorstellung ist ausverkauft. Bleibt zu hoffen, dass der Film anderswo zu sehen sein wird und die Kinos bald wieder öffnen.
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