piwik no script img

Jenseits von Buffalo

„Yellowstone“ heißt der erste Comic des Hamburger Autorenduos Philipp Spreckels und David Scheffel-Runte: ein verheißungsvolles Debüt, zu dem Popcorn besser passt als Weißwein

Von Benno Schirrmeister

Jede Dystopie enthält auch paradiesische Elemente. Das ist bei „Yellowstone“ nicht anders: Der Comic des Hamburger Autorenpaars Phi­lipp Spreckels – Story – und David Scheffel-Runte – Artwork – spielt in einem kaputten Amerika des Jahres 2042. Zehn Jahre zuvor hat ein Supervulkan das Zentrum der Vereinigten Staaten verwüstet, und 2035 eine weitere Eruption die dabei entstandene Zone – also: die Zone, das Heartland – quasi unbewohnbar gemacht und die verfassungsgemäße Ordnung außer Kraft gesetzt.

Alles ganz schlimm also, aber: Den Rassismus, mittels dessen gegenwärtig der amtierende Präsident die real existierenden USA in Richtung eines Bürgerkriegs drängt, haben sie in dieser möglichen Welt überwunden. Hier, in diesem Comic, sind Menschen Menschen, durch den Sozialstatus markiert, aber eben nicht durch Pigmentierung.

Denn dank eines ungewöhnlichen, der Dramaturgie statt einem mimetischen Ideal verpflichteten Farbgebung und einer „ligne claire“, die anders als ihre frankobelgischen Vorbilder auf Ethnostereotype verzichtet, erfahren die Konsument*innen dieses gezeichneten Thrillers allenfalls im Vorüberblättern, dass eine der Hauptfiguren als schwarz zu lesen wäre. Und aus demselben Grund sind hier alle Menschen gewissermaßen ­People of Color: nämlich der, die sich aus der Stimmungsfarbe der Handlungsorte und ihrer jeweiligen Funktion in der Erzählung ergibt. Auf der Polizeiwache, oder genauer, bei den Yellowstone Territory Armed Forces, einer unangenehmen Spezialpolizei mit selbstverständlich nachrichtendienstlichen Befugnissen, herrschen Blautöne vor. Eisblau. Und Preußischblau.

„Wir sind auf die Idee beim Rumexperimentieren gekommen“, sagt Spreckels. Der hatte früher einen der wenigen lesenswerten deutschsprachigen Comic-Blogs veranstaltet – ist also jemand, der vom Nachdenken über das Medium ins Machen gerutscht ist. Erst sei eine naturalistische Gras-ist-grün-und-Himmel-azur-Strategie vorgesehen gewesen, „aber dann haben wir gedacht: Wenn wir hier schon Indie-Comic machen, können wir uns auch was trauen.“ Das ist schön, weil auf diese Weise je nach Bedarf Parallelhandlungen ineinandergeblendet werden können und trotzdem klar unterscheidbar bleiben. Und es ermöglicht, im Panel mit optischen Mitteln Spannung herzustellen und Gefühle.

Die bleiben in der Story eher unterentwickelt, und sie krankt auch keineswegs an Komplexitätsübermaß oder Frauenüberschuss: Die meisten der rund 20 Akteure sind Kerle, die mächtig zulangen und richtig was wegstecken können. Es geht um eine fiese Verschwörung, und Geheim­informationen, mittels der sie aufzudecken wären. Die YTAF ist hinter denen her, die einen geklauten Datenträger verstecken bzw. zu Geld machen wollen. Er ist knallrot, also brandheiß und sieht ansonsten so aus, als hätte das Zip-Drive der 1990er-Jahre im Top-­Secret-Segment der 2040er ein Revival gefeiert. Eigentlich clever, schließlich hat ja schon heute keiner mehr das passende Lesegerät.

Also eher Popcorn als Weißwein. Aber: egal. Das ist ein Debüt, und zwar eins der verheißungsvolleren. Der für einen in der Zukunft angesiedelten Plot überraschende technologische Rückschritt, der auch Telefone und Autos erfasst hat, wird mehr als wettgemacht durch das schöne, zwischen den Sequenzen durchschimmernde Por­trät der Stadt Buffalo als Spielort und ein Layout, das souverän die Möglichkeiten der Gattung nutzt. So wie der zupackende, temporeiche Dialog die Flächigkeit der Handlung mühelos überspielt. Doch, ganz sicher, da kommt noch was.

Philipp Spreckels/David Scheffel-Runte: „Yellowstone“, Zwerchfell, 144 S., 18 Euro

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen