Alke Wierth staunt über Fußgängerfreundlichkeit auf Neuköllner Art: Wo alles geländetauglich sein muss
Mein Nachbarbezirk Friedrichshain-Kreuzberg kann sich mit der Einführung der Pop-up-Radwege in Berlin brüsten; in meinem direkt angrenzenden Neuköllner Nordkiez lässt man sich das natürlich nicht bieten („Kreuzberg, Muschi!“) und poppt gleich noch einen Schritt weiter up: mit Pop-up-Parkverboten und sogar Pop-up-Baustellen.
Autonutzer*innen müssen sich hier neuerdings darauf einstellen, dass zeitlich befristete Parkverbote quasi über Nacht auftauchen und ebenso wieder verschwinden. Schilder verbieten das Parken an bestimmten Straßenabschnitten ab einem bestimmten Datum – und sind dann plötzlich genau an dem Tag, an dem das Verbot in Kraft treten sollte, wieder weg. Beziehungsweise nicht ganz wieder weg: Ein paar Meter weiter tauchen sie wieder auf, nun mit anderen Daten und anderen Uhrzeiten – passieren tut an diesen Straßenabschnitten nichts, kein Baumbeschnitt, keine Gebäudeeinrüstung, kein Umzug.
Rätselhaft, und wäre man nicht in Neukölln, sondern in Friedrichshain-Kreuzberg, könnte man vermuten, dass das eine autonome Protestaktion autofeindlicher Anwohner*innen ist. Doch in Neukölln lieben wir ja unsere Geländewagen, außerdem gehen die Pop-up-Aktionen in meinem Kiez noch weiter und über das, was Anwohner*innen tun könnten, hinaus: Eine Pop-up-Baustelle versperrt neuerdings den Übergang nach Kreuzberg – ebenfalls über Nacht aufgetaucht, ebenfalls ohne vorherige Information der Anwohner*innen und ebenfalls ohne deutlich erkennbares Ziel.
Zwar informieren Aushänge der neuerdings an der Kreuzung von Ohlauer Brücke, Friedel- und Bürknerstraße sowie Maybachufer tätigen Baufirma darüber, dass mit den dortigen Umbauarbeiten künftig mehr „Fußgängerfreundlichkeit“ erreicht werden solle. Doch hängen diese Zettel gerade mal an den Eingangstüren der jeweils ersten zwei Häuser neben der Baustelle und erläutern weder die geplanten Maßnahmen noch die Dauer der Bauarbeiten – Bürgerbeteiligung auf Neuköllner Art.
Und die Umleitungen für Radfahrer*- und Fußgänger*innen rund um die für Autos komplett gesperrte Kreuzung lassen erahnen, was unter Fußgängerfreundlichkeit verstanden wird: Die Spur, die auf den frei gebliebenen Gehwegen rund um die Baustelle den Radfahrer*innen eingeräumt wird, ist gut einen Meter breit ist. Fußgänger*innen verbleibt dagegen auf den Bürgersteigen ein knapp 50 Zentimeter breiter Rand, der entlang der Hauswände holprig und uneben über Kellerluken, Pflastersteine und Hundehaufen führt. Na ja, das ist eben Neukölln hier: Vermutlich sind in diesem Bezirk auch Rollatoren, Rollstühle und Kinderwagen geländetauglich.
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