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Bremen guckt nicht so genau hin

Der Arbeitsschutz wird immer seltener kontrolliert – in anderen Bundesländern sieht es aber noch schlechter aus. Immerhin will der Senat jetzt ein klein wenig mehr Personal einstellen

Alle tragen einen Helm – aber wie sieht’s mit Sicherheitsschuhen, stabilen Gerüsten und ausreichend Arbeitspausen aus? Foto: Bernd Weißbrod/dpa

Von Jan Zier

In Bremen wird nur noch alle 19 Jahre kontrolliert, ob sich eine Firma auch um den Arbeitsschutz ihrer Mitarbeiter*innen kümmert. Vor zwei Jahren kam die örtliche Gewerbeaufsicht immerhin noch alle 14 Jahre vorbei, um sich mal die Gestaltung der Arbeitsplätze, den Lärmschutz oder den Umgang mit gefährlichen Stoffen vor Ort anzusehen. Das geht aus einer Antwort des rot-grün-roten Senats auf eine Kleine Anfrage der SPD-Fraktion hervor.

Selbst die Zahl der einfachen Arbeitsschutzkontrollen, bei denen zwar besichtigt, aber nicht umfassend geprüft wird, sank in den letzten Jahren deutlich – von 1.436 im Jahr 2017 auf 1.090 im vergangenen Jahr. Das entspricht einem Rückgang von einem Viertel.

Bremen folgt damit einem bundesweiten Trend: In Schnitt werden deutsche Unternehmen nur noch alle 25 Jahre kontrolliert, 2008 waren es noch alle zwölf Jahre. Das hat die Bundesregierung jüngst bekannt gegeben, auf Anfrage der Linksfraktion im Bundestag. Bremen stehe also im Vergleich noch ganz gut da, findet der rot-grün-rote Senat, immerhin sei Bremen das Bundesland mit der „zweitgeringsten Abnahme von Arbeitsschutzkontrollen“, nach Nordrhein-Westfalen. Allerdings gab es in Berlin, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern oder Schleswig-Holstein zuletzt Anstiege, wenn auch auf niedrigem Niveau. 2018 machten die zuständigen Länderbehörden insgesamt 167.000 Betriebsbesichtigungen, nachdem es 2017 knapp 183.000 gewesen waren – und 2008 noch mehr als 332.000.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DBG) mahnt mehr Kontrollen an. „Weiter sinkende Kontrollen der Betriebe sind im schlimmsten Fall lebensgefährlich“, sagt DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel: Nun räche sich, dass beim Arbeitsschutz jahrelang geschlampt und Personal abgebaut worden sei.

Das soll in Bremen jetzt anders werden, ein bisschen jedenfalls: Im neuen Haushalt sind zweieinhalb zusätzliche Stellen für die Gewerbeaufsicht eingeplant. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu noch recht allgemein: „Die Ämter, die die Einhaltung des Verbraucherschutzes kontrollieren, werden wir personell stärken.“ Und zwar, um „vielfältige Aufgaben“ zu sichern, zu denen die Regierungskoalition dann in einem Atemzug neben dem Arbeits- auch den Tierschutz und die Pflanzengesundheit zählt. Und, an anderer Stelle des Koalitionsvertrages, auch den Schutz vor „missbräuchlicher Inanspruchnahme von Sozialleistungen“: Der Koalitionsvertrag will zu diesem Zwecke „die Zusammenarbeit der operativen Behörden fördern und ausweiten“. Polizei und Zoll werden aufgezählt, das Jobcenter, die Agentur für Arbeit – und der Arbeitsschutz.

Ab 2026 soll es zumindest eine rechtsverbindliche Aufsichtsquote von fünf Prozent der Betriebe im Land geben. Darauf haben sich Bund und Länder nun verständigt, „unter aktiver Beteiligung“ Bremens, wie der Senat betont. Die Internationale Arbeitsorganisation und die EU drängen darauf, dass ein*e Kontrolleur*in den Arbeitsschutz von maximal 10.000 Beschäftigten im Blick hat. Legt man die staatlichen Zahlen zugrunde, muss sich jede*r Prüfer*in aber um etwa 15.500 Beschäftigte oder mehr als 1.000 Unternehmen kümmern.

„Weiter sinkende Kontrollen der Betriebe sind im schlimmsten Fall lebensgefährlich“

Anja Piel, DGB-Vorstandsmitglied

Das liegt unter anderem daran, dass die Anzahl staatlicher Prüfer*innen von 2007 bis 2017 bundesweit um gut fünf Prozent sank – im selben Zeitraum stieg aber allein in Bremen die Zahl der Betriebe um rund ein Drittel. Für die Beschäftigten seien die Arbeitsschutzkon­trollen also „ein Glücksspiel, auf Kosten ihrer Gesundheit“, heißt es von der Linken. Die Coronapandemie sei dabei „ein Brandbeschleuniger für die Mängel des Kontrollsystems“.

Zumindest im vergangenen Jahr sogar gestiegen ist die Zahl der sogenannten „Systemkon­trollen“ in Bremen, bei denen die Prüfung laut Senat drei Tage einnimmt; dann wird auch kontrolliert, ob die festgestellten Mängel am Ende wirklich behoben wurden. Im vergangenen Jahr war zwar nur etwa jede fünfte Begutachtung in Bremen eine solche „Systemkontrolle“, dennoch stieg deren Zahl von 161 im Jahr 2018 auf 198 im vergangenen Jahr – 2017 waren es jedoch noch 235 gewesen

Insgesamt wurden im vergangenen Jahr fast 1.600 Mängel festgestellt, die zumeist die Organisation des Arbeitsschutzes und der Arbeitsplätze betrafen, in eher seltenen Fällen auch die psychische Belastung der Mitarbeiter*innen, die Arbeitszeit oder den Mutterschutz. In diesem Jahr sei die Gewerbeaufsicht aber stark mit „coronaspezifischen Überwachungen“ beschäftigt oder beschäftigt gewesen, erklärt der Senat – im Einzelhandel, in Beherbergungsbetrieben oder in Logistikzentren. Das allerdings gehe „in Teilen zu Lasten der ‚normalen‘ Arbeitsschutzkontrollen“, gibt die Regierung zu – und auch, dass trotz der geplanten Aufstockung noch zu wenig Personal da sei. Eine „weitere Stärkung der personellen Ressourcen“ sei „erforderlich“, räumt der Senat ein. Freilich ohne zu sagen, wie diese konkret aussehen soll.

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