Macron im Libanon: Retter oder Bluffer?

Frankreichs Präsident präsentiert sich nach der Explosion in Beirut als Retter des Libanon. Ob er in dem krisengeplagten Land wirklich etwas bewegen kann, ist jedoch ungewiss

Besuch der ehemaligen Kolonialmacht: Frankreichs Präsident Macron am Dienstag auf einem französischen Hubschrauberträger im Hafen von Beirut Foto: Stephane Lemouton/Pool Bestimage/dpa

Von Karim El-Gawhary, Kairo

Gleich zweimal innerhalb eines Monats zur Visite im Libanon, am Mittwoch dann zu seinem ersten offiziellen Besuch im Irak: Der französische Präsident Emmanuel Macron versucht, in der arabischen Welt seinen Platz zu finden – in einer Zeit, in der die Karten dort neu gemischt werden. Seit Donald Trump befinden sich die USA in der Region auf dem Rückzug. Das entstandene Vakuum wird von Russland und den Regionalmächten Iran und der Türkei gefüllt.

Macron und seine Berater haben erkannt: Nur wer in der unmittelbaren Nachbarschaft Europas politisch oder militärisch investiert, kann auf dortige Ereignisse Einfluss nehmen. Das haben Russland, die Türkei und der Iran in Syrien vorgemacht; die Türkei und Russland versuchen es erneut in Libyen.

Macrons dieswöchige Reise in den Libanon, der sich seit Monaten im politischen und wirtschaftlichen freien Fall befindet, sowie in den Irak, der seit einem Jahr zwischen Milizen und Demonstranten aufgerieben wird, ist vor allem eine politische Investition. In Beirut hat der Präsident dies am Dienstag ausgesprochen: „Mir ist klar, ich gehe eine riskante Wette ein“, sagte er. „Mein Einsatz ist das einzige, was ich habe, mein politisches Kapital.“

Dass Macron sein politisches Kapital vor allem im Libanon einsetzt, ist kein Zufall. Die Verbindungen zwischen Paris und Beirut, die aus der Kolonialzeit stammen, sind eng. Der Libanon ist das einzige Land in der Region, in der ein französischer Präsident nicht mit der Regierung, sondern direkt mit einflussreichen Kräften verhandeln kann. Ähnliches wäre im Irak, in Ägypten oder in Syrien undenkbar. Nirgends sonst kann Macron als der Retter der Nation auftreten.

Im Libanon funktioniert dies vor allem deshalb, weil die staatlichen Institutionen, das politische System und auch die Parteien in breiten Teilen der Bevölkerung diskreditiert sind, nachdem die Wirtschaft kollabiert ist und vor allem nach der Explosion im Hafen von Beirut Anfang August, die auf grobe staatliche Fahrlässigkeit zurückzuführen ist. Aber Macron hat ein Problem: Zwar kann er sich im Retter-Image sonnen, irgendwann aber muss er konkrete Ergebnisse liefern, was politische Reformen angeht, für die die Menschen im Libanon seit vergangenen Oktober auf die Straße gehen.

Dabei beißt sich die Katze in den Schwanz, denn wie reformiert man ein politisches System am politischen System vorbei? Wenn überhaupt, dann geschehen tiefgreifende Veränderungen durch Druck von unten, was mit vielen Schwierigkeiten verbunden ist, wie die Arabellion 2.0 zeigt, die letztes Jahr in Algerien, dem Sudan, dem Irak und eben auch dem Libanon ausgebrochen ist. Interventionen von außen haben selten etwas Gutes bewirkt – vor allem die militärischen, wie die US-Intervention im Irak 2003 hinlänglich bewiesen hat.

Frankreichs Präsident drohte dem Libanon sogar mit EU-Sanktionen

Macron versucht es nun im Libanon, indem er Druck auf die politischen Kräfte ausübt, endlich mit überfälligen Reformen zu beginnen. In einer Pressekonferenz in Beirut forderte er am Dienstag, dass innerhalb von zwei Wochen eine Regierung aus Technokraten geformt wird, die den ökonomischen Kollaps aufhalten soll. Kurz vor Macrons Besuch war am Montag der ehemalige libanesische Botschafter in Berlin, Mustapha Adib, von Staatspräsident Michel Aoun mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt worden. Macron knüpft dabei finanzielle Hilfe an Reformen. Es gebe keinen Blankocheck, sagte er und warnte: Wenn die politische Klasse scheitere, werde es keine Hilfen mehr geben. Er drohte sogar mit EU-Sanktionen für den Fall, dass Gelder missbraucht würden.

Es ist kein einfaches Spiel für den französischen Präsidenten. Einerseits kennt Macron die UN-Zahlen: Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist auf Hilfe angewiesen, um sich das Lebensnotwendigste leisten zu können, was Druck auf das politische System ausübt. Andererseits weiß Macron, dass die politische Klasse des Landes alles daran setzten wird, sich nicht selbst wegzureformieren. Ein Beispiel ist die schiitische Hisbollah, die vom Iran gelenkte militärisch und politisch stärkste Einzelkraft im Libanon. Sie ist vielleicht nicht die korrupteste Partei, hat aber im Falle von Reformen am meisten Einfluss zu verlieren. Hier werden Macrons Grenzen deutlich: „Fordert nicht von Frankreich, einen Krieg gegen eine politische Kraft im Libanon zu beginnen, das wäre absurd und verrückt“, erklärte er, ohne den Namen Hisbollah auszusprechen.

Es sind immer noch die Regio­nalmächte Iran, Türkei, Saudi-Arabien und die Emirate, die bei dem Kartenspiel das beste Blatt in der Hand halten. Sie spielen für den Erhalt des Status quo und warten ab, ob Macron tatsächlich etwas auf den Tisch legen kann. Bis dahin gehen sie davon aus, dass der französische Präsident nur blufft.