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wortwechselVertraulich: Sprechstunde auf der Datenautobahn

Die elektronische Patientenakte sorgt für heftige Diskussionen. Zweifel an der Sicherheitvon sensiblen Gesundheitsdaten gegen Alltagshilfe und Zeitersparnis? Ein Stimmungsbild

So wird aus Leonardos Goldenem Schnitt ein goldener Chip: Gesundheitskarte made in Berlin Foto: Marie Waldmann/photothek/imago

„Die digitale Patientenakte: Rezept

nur per App“, taz vom 18. 9. 20

Datenschutz-Labyrinth

Was ist mit all den Nicht-App-Fähigen, sei es aus technischem Unvermögen oder schlicht mangels Geld? Kennt wer jemand, der sich durch die kompletten Google-Datenschutz-Regeln durchgearbeitet hat? Eben! Und nun stelle man sich das Ganze in einer vollen Arztpraxis ohne eigenen Computer-Terminal vor.

Herbert Sasse, Köln

Eigenverantwortung?

Ich verstehe nicht, wieso die Daten nicht bei der jeweiligen Krankenkasse oder direkt beim Bundesgesundheitsministerium gespeichert werden, aber die Antwort steht im letzten Satz: Das Ministerium teilt mit, dass die Sicherheit der Geräte „in der Verantwortung der jeweiligen Versicherten“ liege.

Berliner-Berlin auf taz.de

Computerstürmer?

Bei jeder Digitalisierung werden in alter Maschinenstürmer-Manier Gefahren für den Datenschutz heraufbeschworen, ohne danach zu fragen, ob der Datenschutz bei den bestehenden Zuständen besser gewährleistet ist. Patienten, die selbst nicht handlungsfähig sind, müssen vertreten werden durch Betreuer oder Vorsorgebevollmächtigte. Heute haben diese Vertreter, bei denen es sich häufig um Verwandte der Patienten handelt, Zugriff auf die Papier-Krankenakten der Patienten. Wieso soll das bei Familienstreitigkeiten ums Erbe auf einmal „problematisch“ werden, wenn diese Daten statt auf Papier in digitalisierter Form vorliegen? Es sind dieselben Daten! Budzylein auf taz.de

Der Datenmarkt

Mit Macht drängen Apple, Google, Fakebook & Co. in diesen Datenmarkt. Viel zu viele Naive machen mit. Was wird geschehen, wenn ihnen der Staat eine fertige Datenstruktur vor die Füße wirft? Nicht vergessen: Amazon begann als Buchhändler und fand die passende digitale Struktur mit der neuen ISBN bereits vor. Der gesamte Buchhandel hatte sich bereits weltweit vernetzt (alle Verlage, Buchhandlungen, Großhändler), mit „fortschrittlicher“ Technik. Amazon brauchte diese Digitalisierung nur zu übernehmen. Immerhin ist es weiter erlaubt, zu Fuß in die Buchhandlung zu gehen.

Rosmarin auf taz.de

Dr. Smartphone

Es wäre neu, dass Hausärzte in der Praxis sitzen und aus Langeweile für sie uninteressante Daten anschauen. Die elektronische Patientenakte wird auf Dauer doppelte Datenerhebung und doppelte Untersuchungen vermeiden und ist auch für Notfälle wichtig. Natürlich müssen die Daten gegen den Zugriff Dritter (Arbeitgeber, Wirtschaft) gesichert sein. Die Umsetzung mit der Konzentration auf das Smartphone ist allerdings sehr schlecht, weil die Zweiklassenmedizin weiter ausgebaut wird. Nur wer sich ein aktuelles Smartphone leisten kann, kann die neuen Möglichkeiten voll nutzen.

Warum_denkt_keiner_nach auf taz.de

Und chronisch Kranke?

Wer nicht chronisch krank ist, kann sich kein Bild davon machen, was das real bedeutet. Behandlungen von Suchterkrankungen gehören sicher auch in die Akte. Kann dann jede/r sehen, ob von Kolleg/innen das Häkchen bei regelmäßigem Alkoholkonsum gesetzt wurde? Oder von Abtreibungen, Schwangerschaftsproblemen lesen? Es gibt so viel, was aus triftigen Gründen andere nicht wissen müssen – auch wenn es medizinisch ist. Es bleibt alles menschlich. Nur die Akte wohl nicht. Im Übrigen sehen auch einige Ärzte und Therapeuten diese möglicherweise technisch praktische e-Akte kritisch. Bisher mussten verschließbare Metallschränke herhalten. Nun gehen die Daten ins unübersichtliche Web. Hanne auf taz.de

Akte Traumschiff

Meine Philosophielehrerin schrieb in eine meiner Arbeiten: „Hält ihre Träume für die Realität“. So ist es auch in der Bundesregierung bei e-Autos, bei e-Akten: „Wir wären soo gerne so weit!“ Sind wir aber nicht. Sabine Kardel auf taz.de

Alles freiwillig! Noch?

„Die elektronische Patientenakte ist freiwillig.“ Für Ärzte wird sie von Anfang an nicht freiwillig sein, denn die sollen ja haften für ein IT-System, auf dessen Sicherheit sie in der Praxis keinerlei Einfluss haben. Es zeigt sich, dass nicht einmal die IT-Systeme von Unikliniken halbwegs sicher und beherrschbar sind. Für die meisten Patienten ist der Nutzen sehr gering, aber das Risiko sehr hoch; und die Kosten lassen dann wieder die Beiträge aller steigen. Rainer B. auf taz.de

Vorteil: Pharmaindustrie

In meiner beruflichen Laufbahn war ich auch Datenschutzbeauftragter. Was jetzt vorliegt zur „elektronischen Patientenakte“, ist die Verletzung des Datenschutzes im höchsten Maße. Und das zum Wohle der Pharmaindustrie! „Die Bundesregierung hat durch ein neues Patientenakten-Gesetz den Datenschutz ausgehebelt. Ein Widerspruchsrecht auf die Speicherung der Patientendaten gibt es nicht“, schreiben die Deutschen Wirtschaftsnachrichten. Helmut Büber, Winterbach

Datenklau in Norwegen

Jede*r, der überlegt, dabei mitzumachen, sollte wissen, dass vor nicht allzu langer Zeit sämtliche Krankenakten der Norweger in fremde Hände gelangt sind. Aus einem angeblich todsicheren System. In der IT gibt es nun einmal keine hundertprozentige Sicherheit. Schon gar nicht auf Smartphones. Grenzgänger auf taz.de

Unvorstellbar?

Mir ist bei einer kleinen Recherche aufgefallen, dass das zentrale Verzeichnis des Gesundheitswesens VESTA ( https://telemedizinportal.gematik.de/) für seine Webseite ein ungültiges Sicherheitszertfikat verwendet. Es ist eigentlich unvorstellbar, dass ebenjenes Unternehmen, welches zentral für Patientendaten und repektive ihre Sicherheit zuständig ist, derart mit den Sicherheitsstandards schlampt: „Firefox hat ein mögliches Sicherheitsrisiko erkannt und telemedizinportal.gematik.de nicht geladen. Was können Sie dagegen tun? Am wahrscheinlichsten wird das Problem durch die Website verursacht, und Sie können nichts dagegen tun.“ Albert Ebert, Berlin

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