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Bioökonomie-Special bei BuchfestivalLiteratur als Brücke zur Natur

Der neue Autorenstar Jonas Eika und andere Aktivist*innen belebten das Internationale Literaturfestival Berlin. Hat die Natur Rechte?

Diskutierte in Berlin über unsere „Diversitätskrise“: der neue Autorenstar Jonas Eika Foto: Bernhard Ludewig

Mal was Neues, den Besuch eines Literaturfestivals mit einem Audiowalk zum Thema „Welche Rechte hat die Natur?“ zu beginnen. Vom Veranstaltungsort Futurium aus langsam in Richtung Tiergarten schlendernd, lauschte die Gruppe Texten der Inderin Sumana Roy und des indigenen australischen Autors Tony Birch.

Beim Durchlaufen der Grünflächen am Bundeskanzleramt ging es im Audio unter anderem um die Kuratierung von Natur: Im Laufe der Zeit wurden bestimmte Pflanzen bevorzugt, während andere vernachlässigt wurden. Würden Menschen anfangen, sich als Teil der Natur zu begreifen und dieser in der Folge auch eigene Rechte zusprechen, müsste also auch die Natur dekolonisiert werden.

„Visionen der Bioökonomie“ hieß der Titel eines Specials auf den nun zu Ende gegangenen Internationalen Literaturfestival Berlin. Über die Frage nach einer Rechtsprechung für Natur hinaus befasste es sich auch mit Themen wie Big Data, Land Grabbing und der Ökonomisierung von Natur. In Gesprächen und Diskussionen wurde das Thema Bioökonomie in ihren verschiedenen Facetten beleuchtet. Erklärtes Ziel war dabei auch, Literatur und Wissenschaft zusammenzubringen.

Mit der Ernährung der Zukunft befasste sich die Eco-Poetin und Künstlerin Anna Zilahi im Gespräch mit dem Journalisten und Wissenschaftler Jan Grossarth. In Zilahis drei dem Publikum präsentierten Gedichten ging es um den Umgang mit Frauen, das Insektensterben und um Hedonismus.

Bis auf Grossarths Bemerkungen, die Weichen für ein ökologisches „Food-System“, das sich nicht mehr nach dem günstigsten Preis richtet, seien gelegt, und dass der emotionale Teil unserer Essenskultur fehle, gab es zum Thema „Ernährung der Zukunft“ jedoch leider nicht viel Neues zu sagen.

Von Mikroben bevölkert

Umso spannender war das Gespräch zwischen dem Eco-Poeten Forrest Gander und der Journalistin Tanja Busse zum Thema Insektensterben. Busse eröffnete das Gespräch mit der Feststellung, dass die Anzahl diverser Lebewesen kontinuierlich sinke: „Lange Zeit dachten wir, wir seien die Subjekte und alle anderen Lebewesen Objekte.“

Gander regte an, über uns selbst als Biotope zu denken, schließlich seien wir alle von Mikroben bevölkert.

Im weiteren Gesprächsverlauf ging es um ein Klagerecht für Tiere: „Wenn Konzerne klagen können, gibt es keinen Grund, dass Pflanzen und Tiere das nicht dürfen“, fand Gander. „Über diesen Weg könnten auch globale Machtverhältnisse aufgebrochen werden, weil die Natur überall gleich klagen kann.“

„Wir brauchen Diversität sowohl in der Natur als auch in der Kultur“, merkte Busse an, und Gander ergänzte: „Es geht um Intersubjektivität: Wir sind auch die anderen. Literatur ist an dieser Stelle eine Brücke.“

Das Gespräch über „Big Data vs. Ressourcen“ verhandelte die zunehmende Digitalisierung genetischer Informationen. Der Autor und politische Aktivist Jonas Eika (dessen Erzählungen mit dem Titel „Nach der Sonne“ gerade für Aufsehen sorgen) sprach mit der Journalistin Christiane Grefe über Risiken und Chancen dieser Entwicklung.

Zunächst handelte das Gespräch von der Definition des Worts „Bioökonomie“: „Das hängt davon ab, wen du fragst“, so Grefe, „es kann um Systemwechsel, Postwachstum und Kreislaufwirtschaft gehen, es kann aber auch in die entgegengesetzte Richtung gehen.“ Die Frage nach dem Umgang mit Big Data sei letztlich eine Frage der Demokratie: „Welche Fragen wollen wir gestellt bekommen?“ DNA-Manipulation berge das Potenzial, Natur zu rekonstruieren. „Was wollen wir?“, fragte Grefe weiter.

Wege, das Leben durchzukapitalisieren

In Bezug auf die „Diversitätskrise“, in der wir uns gerade befinden würden, merkte Eika an, Big Data treibe Privatisierungsprozesse voran und sei einer der immer neuen Wege, um unser Leben durchzukapitalisieren. Grefe blieb Big Data gegenüber positiv gesinnt: „Es ist auch von Vorteil, um Pflanzen zu analysieren. Auch hier geht es wieder darum, welche Fragen wir an die Technologie stellen. Wem gehört die Technologie?“

Zu Land Grabbing trug der peruanische Autor Joseph Zárate seinen Text über die indigene Umweltaktivistin Ruth Buendía vor. Buendía konnte als Führerin der Ashaninka ihre Community vereinen, um den Bau eines Staudamms zu verhindern, der ihr Land zerstört hätte.

Zárate sprach mit der Journalistin Kathrin Hartmann. Hartmann betonte: „Der Wert des Lebens der indigenen Völker wird nicht gleich bemessen mit dem Wert westlicher Kulturen. Indigene haben durch ihre tiefe spirituelle Verbundenheit mit der Natur einen anderen Blick auf die Welt.“

Modelle des Zusammenlebens

Um westliche Fortschrittsgedanken zu hinterfragen, sei dies eine Lehre. Was könnten künftige Modelle des Zusammenlebens sein? Zárate setzt auf die Zivilgesellschaft: „Indigene modernisieren sich selbst.

Ende des 19. Jahrhunderts wurde noch diskutiert, ob Indigene überhaupt Menschen sind. Heutzutage sind sie stolz auf ihre Geschichte und lassen sich westlich ausbilden, um auf dieser Grundlage zu kämpfen. Da geschieht etwas in der öffentlichen Debatte.“ Er ist jedoch besorgt: „Angesichts der vielen getöteten Umweltaktivisten ist es schwer, nicht pessimistisch zu werden.“

Am letzten Tag des Specials befassten sich der Autor Martin Widmann und die Politologin Barbara Unmüßig mit der Ökonomisierung der Natur und der Frage, was passiert, wenn der Wert natürlicher Ressourcen finanziell aufgerechnet wird.

In seinem Text zählte Widmann zunächst einige Tatsachen auf: Zwischen einem Drittel und der Hälfte der weltweiten Landschaft werde von Menschen bearbeitet, über eine halbe Million Landarten fänden nicht mehr genug Nahrung, um überleben zu können. Wildnis sei nur noch eine diskursive Kategorie.

Ökonomische und ökologische Strukturen

Unmüßig erklärte zunächst die Theorie der Ökonomisierung der Natur: „Der Gedanke, der dahinter steht, ist derjenige, dass, wenn wir die Natur vernutzen, diese auch einen Preis haben muss.“ Natur also gleich Naturkapital? „Das Problem ist, dass sich ökonomische Strukturen nicht so leicht auf ökologische übertragen lassen“, so Unmüßig.

Den Abschluss der „Visionen der Bioökonomie“ bildete ein Panel, bestehend aus dem mexikanischen Umweltaktivisten Homero Aridjis, dem Aktivisten der „Fridays for Future“-Bewegung, Linus Steinmetz, und dem Referenten für Landwirtschaft von „Brot für die Welt“, Stig Tanzmann.

Aridjis beschrieb in seinem Text „Apokalypse“ eine dystopische Zukunftsvision des Untergangs der Menschheit: Terror, Krankheit, Krieg und Verdunklung des Bewusstseins würden uns dahinraffen. Das Leben auf der Erde würde „entschöpft“ werden, wir würden „Muttermord“ begehen. Dieser Prozess sei gegenwärtig schon in vollem Gange. Gibt es hier noch einen Ausweg?

Feuer am Amazonas

„Wir brauchen dringend eine streng wachstumskritische Agenda anstatt der bloßen Ersetzung fossiler Energien durch erneuerbare“, so Tanzmann. Von Bioökonomie hält er nichts: „Das Wachstumsmodell geht hier einfach weiter.“ Aridjis forderte ein internationales Tribunal für „Ökozide“: „Bolsonaro hat neue Pestizide eingeführt. Am Amazonas wüten täglich riesige Feuer. Bolsonaro sollte in Den Haag verklagt werden. Hinter Ökoziden stehen dieselben zerstörerischen Intentionen wie hinter Genoziden.“

Tanzmanns Lösungsansatz lautet „Agricology“. Damit meint er eine Wissenschaft, die auf dem Wissen indigener Menschen aufbaut. Aktuell jedoch ist sein Projekt durch die Coronapandemie ins Stocken geraten: „Wir haben massive Repräsentationsprobleme“, so Tanzmann, „viele Indigene haben keinen guten Zugang zum Internet und werden daher häufig in Konferenzen einfach übergangen.“

Es scheint eine Frage der Auslegung des Begriffs der „Bioökonomie“ zu sein, ob sich Visionen eröffnen oder nicht. Über einen Punkt herrschte bei den Beteiligten der Gesprächsrunden Einigkeit: Wir selbst sind es, die durch unser Handeln entscheiden, welchen Weg die Bioökonomie einschlagen wird.

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