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das ding, das kommtWärmer die Glocken nie klingen

Kein Scherz: Seit Mitte August ist auf dem Rathausplatz in Lübeck ein Weihnachtsmarkt aufgebaut. Echt jetzt? Stille Nacht, heilige Nacht, Bratäpfel und Glühwein bei 35 Grad? Die einzigen Sterne, die ich vor Ort sehe, gehören zur Bemalung eines Kinderkarussells. Ein Vater, dessen Tochter eine Runde fährt, wusste gar nichts von seinem hochsommerlichen Ausflug in den Advent. Er zuckt die Achseln: „Warum auch nicht? Irgendwas ist hier immer los.“

Das Karussell gehört zum Weihnachtsmarkt, wie dunkle Abende bei Schmuddelwetter zum Dezember gehören. Ebenso die anderen Buden: Entenangeln, ein Crêpes-Stand, ein großer Imbiss. Jeweils fünf Schausteller dürfen für je zwei Wochen den Markt bespielen, erzählt der Besitzer des Karussells, Sascha Manfred Belli. „Viele von uns stehen kurz vor der Insolvenz, wir auch. So haben wir wieder ein bisschen was im Kühlschrank.“ Die Idee hat der Schaustellerverband zusammen mit der städtischen „Lübeck Travemünde Marketing GmbH“ entwickelt, um den Schaustellern durch die Krise zu helfen. Das Ganze unter dem Label „Weihnachtsmarkt“ laufen zu lassen, hat den Marketing-Gag erst rund gemacht: Schon mehrere Reporter seien hier gewesen, erzählt Belli, auch das Fernsehen hat berichtet.

Vielleicht waren sie ein wenig enttäuscht, weil die Schausteller die Weihnachtsdeko dann doch in der Kiste gelassen haben. Auch der Softeis-Stand gegenüber versprüht nicht so viel Winterflair. „Auf dem Weihnachtsmarkt verkaufen wir eher Maronen und Punsch“, sagt dessen Besitzerin Sabine Belli, die zur gleichen, weit verzweigten Schaustellerfamilie gehört wie der Karussellbetreiber. Um hier verkaufen zu dürfen, hat sie Plexiglasplatten installiert, eine Desinfektionsstation angebracht und auf dem Boden liegen Teppiche mit Abstandspunkten. Der Markt soll eine Art Hygiene-Testballon für den großen Weihnachtsmarkt sein.

Marketing ist das eine, das andere aber ist, was das mit Weihnachten macht, wenn die Saison jetzt schon anfängt, während die Freibäder noch voll sind. Es ist ja nicht so, dass wir einen Mangel an Weihnachtsmärkten haben. Lübeck hat, verteilt über das Stadtgebiet, dreizehn davon, wovon einer in diesem Jahr wegen Corona abgesagt ist. Die großen Märkte starten am 23. November und gehen bis Jahresende. Dieses Jahr blieb der letzte Markt sogar bis in den Februar stehen.

Wer noch Geschenke kaufen geht, wenn die Blautannen schon am Straßenrand liegen, bleibt ein Geheimnis. Aber der Rubel soll rollen, jetzt auch nach vorn hin. Konsum ist ja die Lieblingsantwort der weniger kreativen Politiker und Stadtmarketing-Menschen auf die Coronakrise. Nur: Wenn jetzt fünf Monate im Jahr Weihnachten ist, kann man es irgendwann auch sein lassen. „Es ist halt ein Weihnachtsmarkt in Zeiten der Klima­erwärmung“, sagt Sascha Belli noch. Friederike Grabitz

Weihnachtsmarkt auf dem Rathausplatz in Lübeck: bis 18. 10..; die traditionellen Lübecker Weihnachtsmärkte öffnen am 23. 11..

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