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: Boule – und der Tag ist gerettet

In der Nacht sind alle Fenster offen. Ein nasses weißes Laken hängt auf der Leine vor der Balkontür. Der Ventilator arbeitet die meiste Zeit. Wegen der Aerosole stelle ich den Ventilator so hin, dass er die Zimmerluft rauspustet. Das macht nicht wirklich viel Sinn – es ist schon ein paar Wochen her, dass jemand anderes außer mir in meinem Zimmer war.

Draußen auf der Straße brüllen sich manchmal Männer an, weil der eine dem anderen zum Beispiel die Vorfahrt genommen hat. Oder das eine Auto das andere berührt hat.

B. teilt mir mit, dass das herrschende Hoch meinen Namen trägt, K. schickt ein Foto von einem Matjessalat, den die Nachbarn aus Büsum mitgebracht hatten. C. fragt, wie wär’s mit Boule. Juchhu, der Tag ist gerettet.

Der Park am Gleisdreieck ist heute nicht besonders voll. Die drei Boulebahnen befinden sich am Rande des Parks, also rechts quasi von dieser Biergartenbrauerei und dann bei den Büschen bei den neuen Häusern, wo die reichen Leute wohnen.

C. sitzt schon da. Er hat eine große Plastiktüte mit Getränken und Eiswürfeln mitgebracht. Wo er sitzt, ist Schatten. Ich bin stolz darauf, in der Sonne des Hochs meinen Namens zu sitzen. Er ist ganz stolz auf seine tolle Idee, bei Getränke Hoffmann Eiswürfel zu kaufen. Vier Bier plus Eiswürfel für 6 Euro, ein guter Preis.

Wir sitzen eine Weile, trinken eisgekühltes Berliner-Kindl, unterhalten uns, beobachten die Umgebung. Komisch, dass Berliner Kindl tagsüber gar nicht so schlecht schmeckt, obwohl es eines der uncoolsten Biere der Welt ist. Der Park ist nicht besonders voll, aber belebt.

Beim Basketballkorb spielen zwei gegen zwei. Ich finde die einen zwei etwas besser als die anderen, weil die anderen etwas besser sind als die einen, und identifiziere mich mit dem kleinsten Spieler, der in Wirklichkeit auch kaum einen halben Kopf kleiner ist als die anderen. Im Weitwurf ist er ziemlich gut; zum Verteidigen hat er keine Lust. Und da hinten hüpfen Kinder Trampolin oder fahren mit unterschiedlichen Fahrzeugen durch die Gegend. Ein kleines Mädchen benutzt einen rosa Dreiradroller. Die Räder sind so klein, dass man sie kaum sieht. Ein kleiner Junge trägt Helm und Knieschützer und fällt deshalb vermutlich häufig hin und heult ein bisschen, anders als das kleine Mädchen, das sich nach einem Sturz nur die Knie abwischt. Ein schwules Pärchen kommt des Wegs. Beide ähneln einander und sehen aus wie freundliche Teddies.

Wir genießen und benutzen die Umgebung. Manchmal bleiben kleine Kinder am Boulefeld stehen und fragen, was die herumliegenden Kugeln bedeuten. Manche trauen sich, die Kugeln in die Hand zu nehmen.

Offiziell heißt unser Spiel „Petanque“, wie mir ein französischer Schriftsteller neulich erklärt hatte. Die Ursprünge des Kugelspiels reichen bis 460 a. D. Dort wurde es lobend von Hippokrates erwähnt. Im Jahr 1629 wurde es trotzdem verboten, weil es zu „lasterhaften Ausschweifungen führe und auch „Ursache sonstiger Unverschämtheiten sei“, heißt es bei Wikipedia.

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Pétanque in Südfrankreich definiert. Der Name bedeutet eigentlich „geschlossene Füße“ (pieds tanqués). Beim Jeu provençal darf man dagegen drei Anlaufschritte machen.

Die Besten werfen die Kugel gefühlte 8 Meter hoch und treffen millimetergenau. Es gibt zwei Gewinnsätze, ein Satz hat 13 Punkte und zwischen den Sätzen darf man wieder zur Bank und trinken, gucken, reden, rauchen.

Eine asiatische Frau geht langsam, in sich versunken, von links nach rechts. Sie nimmt die Leute kaum wahr und erinnert mich an die Frauen in diesem koreanischen Nudelsuppenimbiss mit den Bibelstellen an den Wänden.

Eine halbe Stunde später kommt sie wieder und geht den umgekehrten Weg, während wir dann wieder nach Hause fahren. Detlef Kuhlbrodt