piwik no script img

Streit um Brexit in GroßbritannienMays Rückkehr

Die britische Regierung gibt zu, dass ihre „Klarstellung“ des Brexit-Deals zu Nordirland rechtswidrig wäre. Die vorige Premierministerin ist empört.

Blast from the past: neuer alter Gegenwind für Boris Johnson am Dienstag Foto: Stefan Rousseau/ap

Berlin taz | Zum Auftakt der entscheidenden Verhandlungsrunde zwischen Großbritannien und der EU über die zukünftigen Beziehungen herrscht bei den regierenden britischen Konservativen offener Streit über die Pläne des Premierministers Boris Johnson.

Während der Premier am Dienstag in London auf EU-Chefunterhändler Michel Barnier wartete, hob seine Vorgängerin Theresa May bei der Nordirland-Fragestunde im Unterhaus zum Frontalangriff an. „Wie kann die Regierung zukünftige internationale Partner beruhigen, dass man ihr trauen kann?“, fragte sie finster von den Hinterbänken.

Hintergrund ist die Unklarheit, ob die britische Regierung vollumfänglich zum Brexit-Vertrag von 2019 steht, der den britischen EU-Austritt Ende Januar 2020 möglich machte. Ein Bericht der Financial Times vom Montag, wonach ein neues Gesetzesvorhaben wichtige Teile des von Johnson neu ausgehandelten Nordirland-Protokolls dieses Vertrags aushebeln soll, blieb auch am Dienstag in der Substanz unwidersprochen.

Laut Regierung enthält das „Binnenmarkt- und Finanzgesetz“, dessen Entwurf am Mittwoch veröffentlicht werden soll, lediglich „Klarstellungen“. Doch im Parlament ging Nordirlandminister Brendan Lewis jetzt weiter: „Ja, es ist ein Bruch des internationalen Rechts in einer sehr spezifischen und begrenzten Weise.“

Großbritannien, so Lewis, wolle die „unmittelbare Anwendbarkeit“ von EU-Recht „in gewissen sehr eng definierten Umständen“ außer Kraft setzen. Ein Hinwegsetzen über bestehende Vereinbarungen entspreche bloß dem Vorgehen bei neuen Gesetzen gegen Steuerschlupflöcher.

Es scheint dazu auch andere Meinungen zu geben: Am Vormittag trat der oberste Rechtsberater der Regierung, Jonathan Jones, zurück.

Der Brexit-Deal „machte nie Sinn“

Hintergrund des Streits ist das Nordirland-Protokoll des Brexit-Deals. Es erklärt Nordirland zum Teil des britischen Zollgebietes, zieht aber die Zollgrenze zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU nicht zwischen Nordirland und der Republik Irland, sondern zwischen Großbritannien und Nordirland.

Britische Waren für Nordirland müssen also nach EU-Regeln verzollt werden, bevor sie Nordirland erreichen – wenn das „Risiko“ besteht, dass sie von Nordirland nach Irland weiterfließen.

Ob ein Risiko besteht, legt laut Protokoll das „Gemeinsame Komitee“ von Großbritannien und der EU fest, das die Einhaltung des Vertragswerks überwacht. In Zukunft will London diese Feststellung allein treffen.

Ähnliches gilt für die Gültigkeit von EU-Beihilferecht in Nordirland, die das Protokoll mal ausschließt, mal nicht. Konservative Hardliner fordern daher seit längerem eine Kündigung des gesamten Brexit-Deals und der konservative Daily Telegraph schlagzeilte am Dienstag: „Brexit-Deal machte nie Sinn, wird Premier der EU sagen“.

Souveränität des Parlaments

Die „Klarstellung“ wäre laut Regierung nicht nötig, wenn die Verhandlungen zwischen London und Brüssel über ein Handelsabkommen, das solche Dinge regeln würde, auf der Zielgeraden wären.

Da sie aber momentan festgefahren sind, macht London nun deutlich, dass ein Scheitern auch das bestehende Brexit-Abkommen gefährden könnte. Das soll den Druck auf die EU erhöhen, sich zu bewegen.

Johnson-Verteidiger verweisen darauf, dass das britische Brexit-Gesetz einen in letzter Minute eingefügten Paragrafen enthält: „Demgemäß tut nichts in diesem Gesetz der Souveränität des Parlaments des Vereinigten Königreichs Abbruch“. Anders gesagt: Der Brexit-Deal kann das britische Parlament nicht binden. Genau das ist, worauf May abzielt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Anders gesagt: der Brexit-Deal kann das britische Parlament nicht binden. Genau das ist, worauf (Theresa) May abzielt.""

    ==

    Das britische Parlament ist außen vor - das Trauerspiel, welches sich im House of Commons unter den Tories abgespielte war the Warnung von Theresa May, das das interne britische Brexitgesetz, welches morgen veröffentlicht werden wird, gegen internationales Recht verstösst. Brandon Lewis hat das in seiner Gegenrede zu Theresa May bestätigt.

    Was das für UK bedeutet wird aus folgenden Veröffentlichungen deutlich:

    Präsident der britischen Law Society, Simon Davis, zum Rechtsbruch des internationalen Rechtes durch das neue Brexitgesetz: „Rechtsstaatlichkeit ist nicht verhandelbar. Unser Bekenntnis zur Rechtsstaatlichkeit ist der Schlüssel, um internationale Unternehmen nach Großbritannien zu locken und das Vertrauen in unser Justizsystem aufrechtzuerhalten.“

    Genau wie Theresa May sieht Davis die Rechtssicherheit und deshalb die Reputation und das Ansehen des Königreiches gefährdet.

    Jessica Simor QC, die in drei Anwaltsgremien des britischen Generalstaatsanwalts sitzt und an dem Brexit-Fall nach Artikel 50 beteiligt war, erklärte warum Brandon Lewis im Parlament nicht lügen konnte:

    „Beamte geben den Ministern unparteiische Ratschläge, denen sie in Bezug auf das Gesetz folgen sollten. Wenn ihnen gesagt wird, dass es illegal ist, sollten sie es nicht tun, was vermutlich der Grund ist, warum Brandon Lewis das Parlament nicht angelogen hat.""

    Brexit, eine Kartenhaus aus Lügen, Verrat und falschen Versprechungen - jetzt auch mit einem Brexitgesetz, welches versucht, internationales Recht zu brechen.

    Dagegen hat - ehrenwerter weise Theresa May versucht aufmerksam zu machen, wobei Lewis nichts anderes übrig blieb als das kriminelle Vorgehen der britischen Regierung einzugestehen.