: Stolz zurückkaufen
Das Ausscheiden aller englischen Fußballklubs aus den europäischen Wettbewerben kratzt am eigenen Selbstverständnis der Premier League. Debattentauglich ist es aber nicht – die Gründe sind zu verschieden
Aus ManchesterHendrik Buchheister
Am Ende dieser speziellen Corona-Saison steht für Manchester United ein Triple, von dem der Verein nicht weiß, was er damit anfangen soll. Dass man drei Halbfinals erreicht hatte, im Ligapokal, im FA-Cup und in der Europa League, das ist als Fortschritt zu werten für den abgestürzten Rekordmeister, der unter Ole Gunnar Solskjaer zurück zu alter Größe finden will. Dass allerdings alle diese Halbfinals verloren gingen, das ist eine Demütigung für den einstigen Seriensieger aus dem Old Trafford.
Und so waberten die Befindlichkeiten nach dem letzten Akt dieser merkwürdigen Trilogie, dem 1:2 in der Vorschlussrunde der Europa League gegen den FC Sevilla in Köln, zwischen Zuversicht und Frust. Während Solskjaer seine Mannschaft zu Recht für die Entwicklung der vergangenen Monate lobte („haben einen weiten Weg zurückgelegt“) und dabei vor allem an den dritten Platz in der Premier League gedacht haben dürfte, der die Rückkehr in die Champions League nach einem Jahr Abwesenheit bedeutet, fällte Kapitän Harry Maguire ein vernichtendes Urteil: „Verlieren ist nicht akzeptabel. Halbfinals sind nicht akzeptabel.“
Auch der englische Fußball insgesamt stellt an sich natürlich höhere Ansprüche. Doch nachdem die Klubs aus der reichsten Liga der Welt in der vergangenen Saison einen Siegeszug durch Europa antraten und die Finals von Champions League (Liverpool gegen Tottenham) und Europa League (Chelsea gegen Arsenal) rein englische Angelegenheiten waren, müssen die Vertreter von der Insel – ausgerechnet! – im Jahr des Brexit zuschauen, wenn auf internationaler Bühne die Trophäen vergeben werden.
Manchester United machte das englische Scheitern komplett, nachdem vorher schon Liverpool, Tottenham (im Achtelfinale gegen Leipzig), Chelsea (im Achtelfinale gegen den FC Bayern) und Manchester City aus der Champions League und Arsenal und die Wolverhampton Wanderers aus der Europa League ausgeschieden waren.
Das ist ein Schlag für den britischen Stolz, denn die Premier League wird in der Heimat selbstverständlich auch als beste Liga des Planeten angesehen, während auf den Fußball in anderen Ländern mit einer Mischung aus Arroganz und Ignoranz geschaut wird. So wirkten viele überrascht, dass der FC Sevilla weiß, wie man Europa-League-Halbfinals gewinnt – das Sevilla, das bekanntlich Rekordsieger dieses Wettbewerbs ist. Eine Grundsatzdiskussion über mögliche Schwächen des englischen Fußballs ist nun nicht zu erwarten, anders als man es aus Deutschland kennt, wo nach jedem schwachen Abschneiden in Europa die Öffnung für Investoren debattiert wird.
Tatsächlich ist es ja auch so, dass die Gründe für die enttäuschende Bilanz der Vereine von der Insel sehr individuell sind. Der FC Liverpool, immerhin Titelverteidiger in der Champions League, opferte den Wettbewerb in dieser Saison dem Gewinn der ersten Meisterschaft seit 30 Jahren, Chelsea wird als Team im Umbruch erachtet, und im Fall von Manchester City wird die Schuld für das dritte Viertelfinal-Aus in der Champions League nacheinander Pep Guardiola angelastet, der sich beim 1:3 gegen Olympique Lyon wieder einmal mit seiner Taktik verzettelte.
Bei den anderen englischen Vertretern soll vor allem über teure Transfers sichergestellt werden, dass es wieder besser läuft in Europa. Symbolisch für diese Haltung erklärte Ex-Profi Owen Hargreaves nach Manchester Uniteds Niederlage gegen Sevilla: „Mit Jadon Sancho gewinnt United das Spiel vermutlich.“
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