Ein kurzer Atemzug

Für Journalist*innen aus der Türkei ist Arbeit in Deutschland ein schwieriges Thema. taz.gazete war ein Raum, in dem sie für sich selbst sprechen konnten

Von Burçin Tetik

„In Berlin hat niemand einen richtigen Job.“ Ich war verblüfft, als ich diesen Satz von einer Person aus Istanbul hörte. So sieht das also von außen aus. Dabei ist es für Menschen mit türkischem Pass ziemlich unmöglich, in Deutschland auch nur zu atmen, ohne „richtig“ zu arbeiten. Wer nicht per Familienzusammenführung gekommen ist, hängt mit seiner gesamten Existenz an der Erwerbstätigkeit. Migrant*innen sind so viel wert, wie sie dem Staat an Einnahmen bringen. Wer Steuern zahlt, lieb und brav ist, weder straffällig wird noch mit dem rassistischen Chef streitet und seinen Job verliert, bekommt die Aufenthaltserlaubnis um ein Jahr verlängert. Bei der Verlängerung muss man mit einer Reihe von Fragen rechnen. Eine Gehaltsabrechnung ist vorzulegen, aber ist das nicht etwas wenig, Frau Tetik? Also, ich hab noch nie einen Journalisten gesehen, der so wenig verdient wie Sie, haha.

Ein Arbeitsvertrag ist für eine Migrantin in Deutschland zugleich ein Nachweis über Abschiebehindernisse. Im Zweifelsfall ist er das einzige Dokument, das verhindern kann, dass dich jemand aus dem Leben herausreißt, das du dir aufzubauen versuchst. Mobbing am Arbeitsplatz? Lieber nicht wehren, es gibt viele andere Mi­gran­t*in­nen, die gerne deine Stelle hätten. Rassismus erlebt? Lächeln und durch. Du bist in einer überwiegend männlichen Abteilung und wirst andauernd belästigt? In der Personalabteilung wird man dein Deutsch nicht verstehen oder zumindest so tun, als ob, also beschwer dich lieber erst gar nicht. Sei frustriert, aber mach dir nichts draus. Egal. Hauptsache, du hast deinen Vertrag.

Migrant*innen machen nicht die Arbeit, die sie mögen, sondern den Job, den sie kriegen. Für Menschen, deren Muttersprache Türkisch und deren Beruf das Schreiben ist, sind selbst in einer Stadt wie Berlin die Arbeitsmöglichkeiten sehr beschränkt. Für Journalist*innen, Wis­sen­schaft­le­r*in­nen und Au­to­r*in­nen, die aus der Türkei fliehen mussten, ist es kaum möglich, hier ihren Lebensunterhalt mit Texten auf Türkisch zu verdienen.

Deshalb war es eine Überraschung und ein Privileg, dass sich mein Weg mit dem der taz.gazete kreuzte. gazete war ein Projekt, das in einem Land mit so vielen Migrant*innen wahrscheinlich längst überfällig war. Für ein von Anfang an befristetes Projekt lief es sogar ziemlich lange. Aber wenn man sich den bestehenden Bedarf anschaut, war es nicht mehr als ein kurzer Atemzug. Einen Atemzug lang hat taz.gazete für viele Menschen, die von Deutschland oder von der Türkei aus weiter sprechen, weiter schreiben, weiter erklären wollten, einen Raum eröffnet. Es gab Platz für Frauen und LGBTI+, die als eigenständige Subjekte für sich selbst sprechen konnten. Hier war ich Teil einer Arbeit, die ich mochte, nicht nur einer, die ich kriegen konnte. Dieses Privileg konnte mir Deutschland nicht nehmen. Es gibt nämlich Dinge, die sind größer und wichtiger als ein Vertrag.

Aus dem Türkischen von

Oliver Kontny