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Mehr als ein Name

Eigentlich wollte die Osnabrücker Kulturverwaltung nur Konzeptideen für das „Friedenslabor“ vorstellen, das im Museumsquartier bis 2023 entsteht. Stattdessen gibt es Streit zwischen jenen, die das Haus nach dem NS-Juristen Hans-Georg Calmeyer benennen wollen, und deren Gegnern

Von Harff-Peter Schönherr

Soll in Osnabrück ein NS-Täter zum selbstlosen Heroen glorifiziert werden? Ein Profiteur zum Widerstandskämpfer weißgewaschen werden, trotz seiner Ambivalenz? Oder ist es legitim, dass die Villa Schlikker nach Hans-Georg Calmeyer benannt wird? Schließlich handelt es sich um einen Mann, durch dessen Hilfe zwar Juden überlebt haben, der aber dennoch Teil des NS-Systems war. Eben diese hitzig geführte Debatte ging nun in die nächste Runde.

Alfons Kenkmann spricht von „Diffamierung“ und „Stigmatisierung“, als er am Nachmittag des 13. Juli im Museumsquartier Osnabrück spricht. Er ist Professor für Geschichtsdidaktik an der Universität Leipzig und Leiter des wissenschaftlichen Beirats zur „Neugestaltung der Villa Schlikker“ im Museumsquartier. Bis 2023 entsteht hier im sogenannten „Friedenslabor“ ein Begegnungs- und Bildungsort zur NS-Geschichte. Man spürt, es reicht dem Historiker einfach. Er spricht bei der Pressekonferenz über Konzeptideen für die Villa – und er wehrt sich dagegen, dass ihm in Osnabrück von diversen Akteuren öffentlich die Kompetenz abgesprochen wurde.

Dass die Neuausrichtung der Villa, einst NSDAP-Zentrale, schon seit Jahren schwer belastet ist, haltlose Anwürfe gegen den Beirat, dem er angehört, inklusive, will er nicht übergehen. Er spricht im Namen der Fakten, der distanzierten Geschichtsforschung und über die Verpflichtung zum „kritischen Blick“. Er spricht gegen gefühlige Idealisierung, gegen Desinformation und Verleumdung, gegen aufgehitztes Politgepolter. All das hat er lange ertragen, in Sachen Calmeyer. „So was habe ich in einem Beirat noch nie erlebt“, sagt er.

Verehrer und Kritiker

Denn da sind auf der einen Seite die Mitglieder der Hans-Calmeyer-Initiative, unterstützt von der örtlichen CDU, und sogar ein Beiratsmitglied, die dafür eintreten, dass Calmeyer als Retter und Widerstandskämpfer geehrt wird. 2017 beschloss der Rat der Stadt, dass das „Labor“ nach Calmeyer benannt werden soll, der von 1941 bis 1944 hochrangiger NS-Verwaltungsbeamter in Den Haag war – und Mittäter des Holocaust. Er leitete eine Entscheidungsstelle, die urteilte, ob die Einsprüche von zu Juden erklärten Personen rechtmäßig waren. Rund 3.000 Menschen hatten Glück und wurden nicht deportiert. Die Einsprüche von rund 1.500 Menschen lehnte Calmeyer jedoch ab und er erklärte weitere Menschen zu Juden.

Auf der anderen Seite des Konflikts stehen die Mehrheit des wissenschaftlichen Beirats sowie 265 internationale Künstler, Wissenschaftler und Prominente, die eine Petition gegen die Umbenennung an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) richteten. Sie fordern, dass die 1,7 Millionen Euro Bundeszuschuss entzogen werden, sollte das Haus Calmeyers Namen tragen.

„Geschichte ist immer schmutzig“, sagt Kenkmann. „Lupenreine Vorbilder gibt es sehr, sehr selten.“ Er will Calmeyers Rolle thematisieren, ohne ihn zu überhöhen– und dafür sieht er in Osnabrück eine große Chance.

In der Pressekonferenz sagt er auch das Wort „Juwel“. Er meint damit die Lebensgeschichte der ­Auschwitz-Überlebenden Femma Fleijsman-Swaalep, die Calmeyer nicht gerettet hat, obwohl er es konnte. Was sie durchlitten hat könnte eine zusätzliche Perspektive in der Villa Schlikker aufzeigen. Els van Diggele, ihre Biografin, Historikerin aus den Niederlanden, auch sie von Osnabrücker Calmeyer-Verehrern massiv diskreditiert, sitzt mit im Raum, als Kenkmann das sagt. „Ich verstehe nicht, warum das den Kritikern so schwer im Magen liegt“, sagt sie.

„Fleijsman-Swaalep ist eine große Chance für uns, die Ambivalenz Calmeyers darzustellen“, sagt Nils Arne Kässens, der Leiter des Museumsquartiers. „Wir stehen bereits in Kontakt.“ Kässens kann, als Repräsentant der Stadt, nicht so forsch auftreten wie Kenkmann. Kulturdezernent Wolfgang Beckermann kann das ebenfalls nicht. Aber beide signalisieren deutlich ihren Schulterschluss mit ihm. „Das Projekt war gefährdet“, räumt Beckermann ein – mehrere Beiratsmitglieder hatten unter Protest hingeschmissen, auch Kenkmann dachte darüber nach, blieb jedoch. Beckermann meint: „Jetzt sind wir auf einem guten Weg.“

Doch dann ist die Präsentation der Agentur Schwerdtfeger & Vogt dran, die den Wettbewerb zur Machbarkeitsstudie gewonnen hat, und Ernüchterung setzt ein. Gut für sie, dass ihre Konzeptideen nicht, wie geplant, im Vordergrund stehen an diesem 13. Juli, denn sie sind mager. Gut, bis 2023 ist noch Zeit. Aber es passiert nicht mehr, als dass ein paar Worte wie „Werte“ und „Courage“ in den Raum geworfen, ein paar Halbsätze über Facettenreichtum und Interaktion gesprochen werden.

Zumindest die Hauptzielgruppe steht schon fest: junge Menschen. Und dass es eine Perspektivierung in die Jetztzeit gibt. Der Rest allerdings ist ein Nebelmeer. Bis auf die Gewichtung von Calmeyer. Bei ihrem „personenzentrierten Zugriff“ auf die Thematik NS-Zeit steht er im Mittelpunkt. Er und sein „Rettungsweg“. Das hört sich an, als habe die Hans-Calmeyer-Initiative die Agentur gebrieft.

Auch Patricia Mersinger, die Leiterin des städtischen Fachbereichs Kultur in Osnabrück, sorgt für Stirnrunzeln. Sie greift das mit den Werten auf, der Courage. Und sagt dann, genau das habe Calmeyer gelebt. Auf taz-Nachfrage korrigiert sie sich.

Philosophieprofessor Johannes Max van Ophuijsen und der Journalist Hans Knoop sind nach dieser Aussage fassungslos. Die beiden Niederländer wurden ebenfalls Diskreditierungsopfer derer, die Calmeyer als einen besseren Oskar Schindler sehen. Dass sie zu dieser Pressekonferenz der Stadt und fachlichen Gesprächen eingeladen wurden, ist ein Zeichen, dass endlich auch Kritiker in dieser Debatte gehört werden.

Auch ihre Petition an Merkel hat viel Beachtung bekommen. Eine öffentliche Reaktion aus Berlin gibt es allerdings nicht (siehe unten): Die genannte Petition ist im Bundeskanzleramt bekannt“, sagt eine Sprecherin. „Offene Briefe werden grundsätzlich nicht kommentiert.“

Dass es in Osnabrück, direkt neben dem Felix-Nussbaum-Haus, einem Maler der Neuen Sachlichkeit, der von Mitmenschen verraten, 1944 nach Auschwitz deportiert wurde und dort starb, ein Calmeyer-Haus geben wird, ist indes trotz des Ratsbeschlusses immer undenkbarer.

„Der Beirat wird am Ende eine Empfehlung aussprechen“, sagt Kenkmann, und jeder weiß, was er damit sagen will. Bis dahin gilt: Der Name Villa Schlikker bleibt, schließlich heißt auch der Beirat so.

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