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Ein Lustschloss für die Kunst

Das Schloss Agathenburg bei Stade hat sechs Künstler*innen eingeladen, sich lustvoll mit dem ehemaligen Adelssitz auseinanderzusetzen. Aber mitmachen kann man auch als Gast

Von Hajo Schiff

Keine Eröffnungspartys, Maskenpflicht vor Ort und schlechte Videos für zu Hause: Eigentlich liegt über dem Kunstbetrieb zurzeit eine gewisse Unlust. Aber als bewusste Gegenposition feiert das Schloss Agathenburg bei Stade nun die Lust. Vielleicht ist es auch nur ein Zufall der Planung, jedenfalls manifestiert sich hier die Lust der sechs Künstler*innen an Paraphrasen barocker Ausstattungsstücke des Schlosses, an den versammelten Objekten und Bildern des 1655 errichteten Adelssitzes der Grafen von Königsmarck.

Insbesondere die Malerei von Tanja Hehmann – zusammen mit Karin Missy Paule ­Haenlein auch Kuratorin der „Und alle Lust …“ betitelten Schau – taucht tief in den Vorrat der Traditionen ein. Dabei verwendet sie allerdings bewusst nur die formalen Strukturen, kaum die alten Inhalte. Im Hauptraum des Schlosses, dem Herrensaal, hängt ihr metergroßes, wandfüllendes Diptychon, eine im umgangssprachlichen Sinne „barocke“, wilde Explosion von Farblust vor einer perspektivisch gegliederten Tiefenillusion. Und in weiteren Bildern und schwarz-weißen Monotypien sind die Wappenschilde des Hauses zu ahnen oder der Bildaufbau folgt dem Typ des seit der Renaissance in Text und Zeichen dreigeteilten, oft rätselhaften Emblems.

Karin Missy Paule Haenlein hat dagegen in geheimnisvollem Halbdunkel in Anlehnung an frühneuzeitliche Wunderkammern zusammen mit Jan Köchermann fünf große Vitrinen mit kleinen Objekten, Zeichnungen und Fundstücken bestückt. Jedes für sich eher unbedeutend, geht es darum, das „Wunder zwischen den Dingen“ zu entdecken, also eine Lust an ungewohnten Verflechtungen zu finden – und seien es die Haare zwischen zwei Bürsten.Einfache Baumarktmaterialien wirken wie kostbarer Schmuck, die Struktur einer Raspel entspricht seltsamerweise dem Raster eines Hochhauses im Foto, Zeichnungen korrespondieren mit einem Miniaturteppich, neben einem Kunststoffbäumchen verpuppt sich in einem Minivideo eine Darstellerin wie ein Schmetterling und Kratzzeichnungen auf Bieretiketten treffen auf ein Virusmodell.

Vor edlen blauen Tapeten und über alten Möbeln finden sich eingeschmuggelte veränderte Porträts, Bilder und Objekte

In gewisser Weise sind auch die in runden Präsentationskörpern im Vorraum schwebenden Steine ein Beitrag für eine Wunderkammer. Aber hier geht der Blick nicht in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft. Denn die Dänin Nina Wengel erklärt dazu, es seien Objekte von „peaceful exoplanets, stressed stars, mad moons and friendly galaxies“, deren Rahmung auch für schwerelose Räume geeignet sei. Eine höchst seltsame Sammlung ist da ins ehemals schwedische Schloss bei Stade gebeamt. Vielleicht fand ja die Künstlerin aus Svendborg das historische Haus am Geestrand über dem Elbtal samt idyllischem Park selbst schon etwas außerirdisch.

Barocke Inszenierungen haben immer etwas besonders Theatralisches und im heutigen Kulturzentrum finden auch oft Aufführungen statt. Es wundert kaum, wenn in einem der Bilder von Andrea Freckmann dann das ganze Schloss zum Theaterprospekt wird. Und wenn da ein aus unklaren Gründen halb mit Gips überformtes Schaukelpferd steht oder vor einem Kamin eine schlecht geflickte, möglicherweise antike Vase, stellt sich die Frage, ob das historische Relikte sind oder doch neue Requisiten eines noch geplanten Spiels.

Solche Irritationen sind fast schon zu deutliche Absicht. Denn nicht nur in den üblichen Sonderausstellungsräumen, sondern überall im Schloss, auch inmitten der historischen Dokumentation, finden sich zur Steigerung der Besichtigungslust vor edlen blauen Tapeten und über alten Möbeln eingeschmuggelte veränderte Porträts, Bilder und Objekte. Das wiederum verbindet sich mit den älteren, hier auf Dauer installierten Interventionen. Etwa das an die Wand des Haupttreppenhauses gezeichnete Treppenhaus von Barbara Camilla Tucholski oder den schon 2000 von Hannes Kater ausgeführten Farbzeichnungen im alten Treppenturm.

Um die eigene Entdeckungslust dann auch gegenständlich werden zu lassen, ist auch das Publikum dazu eingeladen, mit dem Inhalt einer „Kunsttüte“ eigene Frottage-Arbeiten oder Postkarten mit Gedichten aus genau elf Worten zu erstellen und auch zu präsentieren.

Alle Lust will Ewigkeit – so wäre das Titelzitat zu ergänzen – aber das ist gewiss unmöglich. Und so muss zu der in einigen Wandtexten angesprochenen künstlerischen Produktionslust auch das Gegenteil kommen: Einen schmerzhaften Weg der Unlust hat Melas Eichhorn aus scharfkantigen Steinen ins ganz in schwarz gehaltene Witwenzimmer gelegt. Und in einem der Künstlerzitate ist zu lesen, dass der großen Lust des künstlerischen Anfangs oft die Unlust der technischen Widerstände in der Realisation folgt.

Große Lust an der Veränderung der Traditionen bestimmt jedenfalls das kurze, dreigeteilte Video „Atlas und die starken Löwen“ von Karin Missy Paule Haenlein. Anders als bei dem einst die Macht der Königsmarcks verherrlichenden allegorischen Bild im Keller wird das Gewicht der Welt nicht mehr von einem übermenschlichen Heroen getragen, sondern die nun in eher schlechtem Zustand befindliche Erdkugel wird mittig von der Künstlerin unter der Last schwankend herbeigebracht, während rechts und links zwei Löwen die aufopferungsvolle Szene eher dümmlich faul flankieren.

„Und alle Lust …“: bis 13. September, Schloss Agathenburg; www.schhlossagathenburg.de

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