: Ewige Kinderfrage
KINO I Vor 30 Jahren wurde „Siddharta“ verfilmt. Zu Hesses 50. Todestag ist er wieder zu sehen
Conrad Rooks, ein amerikanischer Regisseur, der den Beatniks nahestand und eine Weile drogensüchtig war, hat zwei Filme gedreht: 1966 kam „Chappaqua“ heraus, in dem unter anderen William S. Burroughs, Allen Ginsberg und Ornette Coleman mitspielen. Der ziemlich verwirrende, spätere Klassiker des psychedelischen Films gewann den Silbernen Löwen in Venedig und wird seitdem immer wieder gern auf Underground-, Drogen-, Beatnik-Retrospektiven gezeigt.
Die Fertigstellung seines zweiten, unter anderem in der Pilgerstadt Rishikesh und im Palast des Maharadschas von Bharatpur gedrehten Films zog sich lange hin, weil es für westliche Regisseure schwierig war, Visa für Indien zu bekommen. Rooks, der mit der damaligen Premierministerin Indira Gandhi befreundet war, gelang es schließlich, die Verantwortlichen davon zu überzeugen, dass sein Film die indische Kultur achten würde. Außerdem erschwerte der Krieg zwischen Indien und Pakistan, der kurz nach Rooks Ankunft in Bombay ausbrach, die Dreharbeiten.
Unter Intellektuellen ist Hesse verpönt
Wie „Chappaqua“ gewann auch die Verfilmung des meistverkauften Romans von Hermann Hesse den Silbernen Löwen beim Filmfest in Venedig, verschwand aber in der Folgezeit in der Versenkung. In Deutschland kam „Siddharta“ jedenfalls erst 1997 in die Kinos. Vielleicht hat das damit zu tun, dass Hesse zwar in Deutschland einer der meistgelesenen Autoren ist, unter deutschen Intellektuellen aber als nicht satisfaktionsfähig gilt. Die Sinnsuche wird nur Teenagern zugestanden; die Frage nach dem Wozu gilt als „Kinderfrage“, wie es bei Gottfried Benn („Durch so viele Formen geschritten“) so schön heißt. Zu Hesse äußern sich nur Geisteskoryphäen wie Udo Lindenberg und Nina Hagen. Chinesische Intellektuelle dagegen berufen sich gern auf den Schweizer Dichter.
Als jemand, der in seinen Teenagerjahren Hesse-Fan war und ihn vielleicht deshalb nicht mehr lesen mag, schaut man sich den Film zunächst mit Vorurteilen an und ist dann doch angenehm überrascht: von den nie aufdringlich großartigen Natur- und Menschenaufnahmen des später mit zwei Oscars ausgezeichneten Kameramanns Sven Nykwist, der in 22 Ingmar-Bergman-Filmen mitwirkte, vom gemächlichen Erzähltempo, von der indischen Musik und den eher zurückhaltend agierenden indischen Schauspielern.
Erste Nacktszene der indischen Filmgeschichte
Man freut sich über die dokumentarisch wirkenden Passagen mit Chillum rauchenden Sadhus. Überhaupt ist es schön, mal wieder einen Film zu sehen, der das Mönchstum feiert, versucht, die erste, sehr kurze und sozusagen keusche, von Simi Garewal gespielte Nacktszene der indischen Filmgeschichte nicht zu verpassen, und denkt dabei an die expliziten Szenen des indischen Independent-Films „Wixer“, der auch von Lebenssinnsuche handelt. Man denkt über das Begehren nach, deren Abschaffung der Buddhismus fordert, das Ich, von dem man sich verabschieden soll, den Augenblick am Fluss, in dem Siddharta schließlich am Ende des Films seinen Frieden findet. „Siddharta“ ist ein überraschend unprätentiöser Film, der sich besonders gut für allein lebende Singles eignet. Das Glück der Liebe ist ja bekanntlich eine den „Kindermenschen“ vorbehaltene Domäne.
Nachdem er „Siddharta“ fertiggestellt hatte, ging Conrad Rooks nach Indien, lebte eine Weile völlig zurückgezogen im thailändischen Pattaya und starb letztes Jahr in Massachusetts.
DETLEF KUHLBRODT
■ „Siddharta“. Regie: Conrad Rooks. USA 1972, 89 Min.