Die Wahrheit: Hingefläzt aufs Eisbärenfell

Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (100): Zum Jubiläum mal etwas über eine allzu tierische Spezies – den Menschen.

La Dietrich auf einem Bärenfell Foto: Courtesy Everett Collection/imago

In seinen „Geschichten von weißen Männern“ (1926) erwähnt der dänisch-grönländische „Eskimologe“ Knud Rasmussen zwei Arten, die von den alten Eskimos unterschieden wurden: die Qavdlunatsait – feindlich-kriegerisch gesinnte Männer – und die Qavdlunat – eher freundlich gestimmte. Beide Weiße sind jedoch auf die gleiche Weise in und über die Welt gekommen: „In den ersten Zeiten waren alle Menschen Eskimos. Doch dann geschah es, dass ein Hund ein Mädchen zur Frau nahm, und von ihrer Brut stammen die weißen Männer.“ Das Mädchen schämte sich seiner Kinder und setzte sie mit einem Stück Fell auf einer Eisscholle aus, mit der sie in alle Länder drifteten, und „die Stammväter aller weißen Männer wurden.“

Das mag man glauben oder nicht, aber die weißen Männer gibt es – mehr als einem lieb ist. Und hündisch sind sie auch wie die Pest. Trotz aller übertreibenden Ichigkeit haben sie gern einen Rudelführer – die kollektiven Inuuk sagen dagegen oft „man“ und untertreiben eher. Aber es geht hier nicht um Denunziation, sondern um Ethologie.

Die weißen Männer sind im Durchschnitt zwischen 1,55 und 1,85 Meter groß, wiegen zwischen 60 und 160 Kilo, ihre Blondhaarigkeit mendelt sich langsam raus, sie essen viel Fleisch, sind meist christlich-monogam geprägt, vögeln aber auch gern außer der Reihe. Wer tut das nicht? Die weißen Männer werden von jungen Mädchen bereits frühzeitig als „alte“ weiße Männer abgetan. Diese sollen angeblich die Welt regieren. Im Kleinen wie im Großen.

Der kanadische Polarforscher und Ernährungswissenschaftler Vilhjálmur ­Stefánsson hat auf mehreren Arktis-Expeditionen, mit Inuuks und weißen Männern an Bord, die Erfahrung gemacht, dass der weiße „Mann vom Arbeitertypus ein Gefühl der Herabsetzung hat, wenn er gezwungen ist, die Nahrung von ‚Wilden‘ zu essen, während der Mann vom ­Intellektuellentypus, wenn er die Nahrung eines fremden Volkes versucht, durch einen gewissen Reiz des Abenteuerlichen sich angezogen fühlt“, wie er in „The Friendly Arctic“ (1923) schreibt, das auf Deutsch ziemlich prophetisch „Länder der Zukunft“ heißt.

Stören aus Lust am Töten

An anderer Stelle unterscheidet er pragmatisch die weißen Männer, denen das „Spießbürgertum im Blute liegt“, von jenen, die „jung und aus gutem Hause“ sind. Diese – „draufgängerischen“ – seien „das beste Material für Polarforscher“. Während die heutigen Inuuk zwischen [armen] weißen Trappern (Fänger) und [reichen] weißen Trophäenjägern unterscheiden. Letztere lehnen sie ab, es sei verderblich, aus bloßer Lust am Töten die Tierwelt zu stören.

Den Inuuk gesteht man zur Subsistenzsicherung Quoten an arktischem Großwild zu. Da sie für die Jagd mit modernsten Waffen und Motorschlitten ausgerüstet sind, fragen sich weiße Tierschützer: Wo ist dabei noch etwas von ihrer „traditionellen Lebensweise“? Zumal sie aus den ihnen zugestandenen Quoten auch gern für viel Geld Abschüsse an weiße Trophäenjäger verkaufen. Vor allem die Eisbär-Quoten gehen weg wie warme Semmeln.

Die Eskimos sind Weiße geworden, sagen weiße Eskimologen und Inuuk, in Grönland gehen Pessimisten wegen des Klimawandels und der Ausbeutung der dortigen Rohstofflager davon aus, dass es die Inuit-Kultur dort bald nicht mehr gibt.

Auch mit den Eisbären soll es zu Ende gehen. Der Eisbär ist so etwas wie ein Übervater für die Inuit gewesen. Sie haben von ihm das Überleben in der arktischen Wüste gelernt, das Schneehüttenbauen, den Robbenfang und nicht zuletzt die Nutzung seines Fells als Kleidung – nachdem sie von Indianerstämmen immer weiter nach Norden gedrängt worden waren. Heute tragen die Inuuk kaum noch Fellkleidung. Sie bedarf der Frauenarbeit.

In den Touristenläden auf Spitzbergen stammen die zum Verkauf gestapelten Eisbärfelle aus Nordamerika. Im Inuuk-Territorium Nunavut ist zwischen der Inuit-Sicht auf das Eisbärproblem, das ein Quotenproblem ist, und den weißen Eisbärforschern, die das Raubtier auf die Liste der gefährdeten Arten setzen wollen, ein Streit ausgesprochen, wobei eine weiße Weltsicht erstmalig durch eine Inuit-Weltsicht herausgefordert wird. Eine weiße kanadische Eisbärforscherin kämpft auf ihrer Seite.

In der Arktis braucht jeder Eisbär ein Territorium von vielen hundert Quadratkilometern, wobei die meisten es jedoch vorziehen, nomadisch zu leben, insofern sie jährlich mehrere Tausend Kilometer wandern. Außer den reichen Trophäenjägern und den letzten indigenen Eisbärjägern tauchen inzwischen wieder vermehrt Fellhändler auf. Bis zu 3.000 Euro zahlen reiche Chinesen für ein Eisbärfell, und es gibt immer mehr reiche Chinesen. Sie haben die erotisch aufgeladene Mode der weißen Reichen zur Hochzeit von Hollywood wieder aufleben lassen.

Damals gab es kaum einen weißen weiblichen Star, der sich nicht lasziv auf einem Eisbärfell räkelte, genannt seien: Pola Negri, Jean Harlow, Ann Miller, Ann Sheridan, Joan Collins, Ann Crawford, Carroll Baker, Edwina Both, Lisbeth Scott, Olga Baclanova, Dolores Del Rio, Rita Hayworth, Grace Kelly, Veronica Lake, Marlene Dietrich, Marilyn Monroe – und zuletzt die Präsidentengattin Melania Trump.

Die Frau glich der Toten

Nun ist schon lange nicht mehr zu leugnen, dass es neben den weißen Männern auch weiße Frauen gibt, die jedoch erst viel später als die Männer in der Arktis auftauchten. Einmal, so erzählt es Knud Rasmussen, „kam eine solche Frau an Land“. Sie setzte sich auf einen Stein vor dem Zelt eines alten Mannes, dem vor vielen Jahren seine Frau gestorben war, und diese Weiße glich so sehr der Verstorbenen, dass ihre Verwandten der weißen Frau einen Mövenbalg um den Hals gaben.

„Da lächelte die Frau und ging zu dem großen Schiff zurück.“ Die Eskimos waren sich sicher, dass es „die Seele der Verstorbenen war, die in der weißen Frau wieder auferstanden war“. So oder so ähnlich muss oder kann man sich also das Erscheinen der weißen Frau lange nach Erscheinen des weißen Mannes vorstellen.

Beide stellten sich gern über schwarze Männer. Mit gutem Willen kann man da eine Differenz aus arktischer Sicht auftun: So redet zum Beispiel der afroamerikanische Polarforscher Matthew Henson, der den Expeditionsleiter Robert Peary auf allen Polarfahrten begleitete, an keiner Stelle seines Berichts „A Negro Explorer at the North Pole“ (1912) von der Jagd, wodurch die nichtgescheiterten Expeditionen sich oft Nahrung verschafften, wohingegen die Weißen schon ab New York von nichts anderem mehr sprachen. Auch in dem Buch des togolesischen Grönlandforschers Tété-Michel Kpomassie aus den sechziger Jahren „Ein Afrikaner in Grönland“ kommt die Jagd so gut wie nicht vor.

In „North Pole Legacy. Black, Whites and Eskimo“, das der afro­amerikanische Neurologe, Polarforscher und Direktor der Harvard-Stiftung für interkulturelle und -rassische Beziehungen S. Allen Counter 1991 veröffentlichte, wird die Neigung des weißen Mannes, hierarchisch zu differenzieren, deutlich, vielleicht gilt diesem deswegen die Treue von Hunden als die wahre.

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