: „Zu viele Fragen, die offen bleiben“
Heute jährt sich der Todestag von Marwa El-Sherbini zum 11. Mal. In Bremen findet der Gedenktag gegen antimuslimischen Rassismus diesmal als Online-Stream statt
Interview Jan-Paul Koopmann
taz: Frau Renner, zum heutigen Tag gegen antimuslimischen Rassismus hatten Sie eine Gedenkveranstaltung geplant. Fällt die wegen Corona nun aus?
Elianna Renner: Die Veranstaltung auf dem Marwa El-Sherbini Platz kann wegen der Pandemie nicht in der ursprünglichen Form stattfinden – und das ist mehr als schade. Als wir den Platz im Viertel vor zwei Jahren umbenannt und den Gedenkpavillon eingeweiht haben, war das große Ziel, dieses Gedenken in der Öffentlichkeit lebendig zu halten. Fünf Leute werden sich am Platz treffen, die Gedenkveranstaltung wird am Abend virtuell im Internet stattfinden.
Wie funktioniert das?
Filmemacher Jan van Hasselt wird die kleine Runde am Nachmittag aufnehmen und sie im Anschluss mit den Beiträgen zusammenschneiden, die uns zum Beispiel Bürgermeister Andreas Bovenschulte, aber auch auswärtige Künstler- und Rednerinnen geschickt haben. Aus der Veranstaltung ist ein Film geworden.
Wo setzen Sie den Schwerpunkt Ihrer Veranstaltung?
Uns war es von Anfang an wichtig den elften Todestag von Marwa El- Sherbini als jährlichen Gedenktag zu gestalten.Wir arbeiten biografisch, uns ist es wichtig, ihre Geschichte als Mensch zu erzählen. Freundinnen aus ihrer Zeit in Bremen erzählen. Und natürlich hat das auch grundsätzlich mit unserer Gesellschaft zu tun.
Was meinen Sie?
Marwa El-Sherbini ist auf einem Spielplatz in Dresden rassistisch und antimuslimisch beschimpft worden, hat Anzeige erstattet und wurde während der Gerichtsverhandlung vom Angeklagten niedergestochen. In dieser Situation schießt die Polizei noch auf ihren Ehemann, weil sie ihn sofort für den Täter hält. Das ist eine gesellschaftliche Frage. Die rassistischen Pöbeleien kommen nicht von ungefähr. Es ist auch ein Fall von Racial Profiling, dazu kommt die Frage, wie da jemand mit einem Messer in einen Gerichtssaal laufen kann. Wie ist so was möglich?
Sie gehen also vom Mord aus und folgen den unterschiedlichen Fäden?
Genau, jedes einzelne Detail steht symbolisch für etwas Größeres. Deswegen ist die Geschichte so unbeschreiblich schrecklich. Sie macht sprachlos. Es sind zu viele Fragen, die offen und unbeantwortet bleiben.
Dabei ist viel über den Fall berichtet worden.
Mit einiger Verzögerung, ja. Die hinterbliebenen Freundinnen haben erzählt, wie sie die reißerischen Headlines damals erschreckt haben. Mich erinnert das auch an die Rolle der Medien beim NSU und an diese „Dönermorde“. Das ist einfach pietätlos, respektlos und entwürdigend. Wir brauchen viel mehr Sensibilität im Umgang mit Sprache – vor allem den Hinterbliebenen gegenüber.
Sie haben das Mahnmal und das angehängte Virtual-Reality-Projekt 2018 eingeweiht. Wie wird es angenommen?
Das Angebot wird genutzt, auch wenn es zwischendurch leider immer wieder technische Probleme gegeben hat. Letztes Jahr gab es eine öffentliche Gedenkveranstaltung, es wäre aber schön wenn mehr Aktivitäten stattfinden könnten. Aber man kann aus einem abgeschlossenen Jugendprojekt, in dem alle ihren Job hatten, nicht einfach so auf Dauer Veranstaltungen organisieren. In der letzten Zeit haben wir vor allem inhaltlich an einer neuen Broschüre gearbeitet und überlegt, wo man ansetzen müsste, damit der Platz mehr Öffentlichkeit bekommt. Dann kam die Pandemie …
Elianna Renner,
Jahrgang 1977, ist Künstlerin und hat mit dem Jugendprojekt „Köfte Kosher“ das Bremer Mahnmal für Marwa El-Sherbini und andere Opfer rechter Gewalt entworfen.
Wie nehmen Sie den Diskurs um Opfer rassistischer Gewalt wahr? Gerade wird ja wieder viel darüber gesprochen, aber was Deutschland angeht, scheint mir etwa der NSU längst historisiert zu sein.
Das beobachte ich auch so. Der NSU ist mitsamt der Akten weggeschlossen. Dann sind da noch einige jüngere Anschläge, die aufgrund der Pandemie aber zu wenig Aufmerksamkeit bekommen: Halle zum Beispiel, aber auch Hanau. Nach kurzer Medienpräsenz, hat sich die Corona-Haube darübergelegt. Die Stimmen sind gedämmt, die Erinnerung sekundär. Der Terror ist irgendwo im Alltag und im Netz, aber es berührt nicht wirklich – persönliche Probleme scheinen wichtiger.
Hatten Sie überlegt, die Veranstaltung so aufzubauen, dass Besucher:innen über solche Fragen direkt miteinander kommunizieren können?
Nein, es war von Anfang an klar, dass es ein Film wird und dass der in erster Linie von Marwa El-Sherbini handelt. Man soll sich das wie eine Reportage ansehen können. Zwischendrin haben wir etwa den arabisch-jüdischen Rana Chor aus Tel Aviv dabei – und das ist richtig schön und rührend! Die Frauen haben aus ihren Wohnzimmern über Zoom miteinander gesungen und man bekommt so auch Einblicke in den Hintergrund der Personen. Das ist wie eine Video-Konferenz, nur dass alle miteinander singen.
Und diskutiert wird in den Facebook-Kommentaren?
Man muss sich heutzutage gut überlegen, ob man Gedenken überhaupt kommentieren lässt. Auf Hasskommentare können wir gut verzichten.
Online-Gedenken: Mi, 1. 7.,
19 Uhr, auf www.facebook.com/koeftekosher
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