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Aufforderung zur Sanftmut

Letztes Jahr musste die 25. Ausgabe des Kunstfestivals Rohkunstbau wegen finanzieller Engpässe ausfallen. Jetzt wird diese auf Schloss Lieberose nachgeholt – trotz Corona

Von Beate Scheder

Ein bisschen zu groß und zu auffällig ist es dann doch geraten, das Schild, mit dem die Mittelbrandenburgische Sparkasse die Besucher*innen der diesjährigen, 25. Ausgabe von Rohkunstbau begrüßt. An einem Bauzaun im Hof von Schloss Lieberose in der Mark Brandenburg hängt es, signalrot, wie es Schilder der Sparkasse nun einmal so an sich haben und in direkter Nachbarschaft zu einer Arbeit, die glücklicherweise stark genug ist, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen: Alicia Kwades „Megasubstanz“ ist eines jener für die Berliner Künstlerin typischen, trotzdem noch immer erstaunlichen Objekte, mit denen Kwade die Gesetze der Physik außer Kraft zu setzen scheint. Eine Röhre aus glänzend poliertem Edelstahl, in der sich die Umgebung spiegelt – Schloss, Betrachter*innen und Landschaft – wächst da scheinbar aus einem Granitfelsen heraus, der wiederum, als sei er schwerelos, auf einem Betonsockel balanciert.

Es hat aber auch sein Gutes, dass das Schild der Sparkasse, weiter Förderer von Rohkunstbau, da überhaupt hängt. Denn die Finanzierung des Kunstfestivals Rohkunstbau ist prekär. Förderungen, wie die der Bank oder auch von Land und Kreis, sind dringend nötig, um seinen Fortbestand zu sichern. Das hat das vergangene Jahr deutlich gemacht, als mit der Böll-Stiftung der Träger ausstieg und die zum 25. Jubiläum geplante Ausgabe ausfallen bzw. verschoben werden musste. Statt findet sie allen aktuellen Corona-Widrigkeiten zum Trotz seit dem vergangenen Wochenende. Bis tief in den September hinein empfängt Schloss Lieberose, gelegen im Landkreis Dahme-Spreewald, wieder das geneigte Kunstpublikum.

Von „einem Zeichen gegen die Erstarrung“ sprach Arvid Boellert bei einer Vorabbesichtigung. Boel­lert hatte Rohkunstbau 1994 erstmals veranstaltet. Noch als Student hatte der Mediziner damals die Idee für das Festival, das zeitgenössische Kunst, immer im Sommer, in leer stehende Brandenburger Bauten bringt.

Erst Anfang Mai fiel die Entscheidung, Rohkunstbau 2020 doch und komplett analog zu realisieren. Heike Fuhlbrügge übernahm dafür das Zepter von Mark Gisborne, der die Ausstellungen lange Jahre kuratiert hat. Hoch anzuerkennen ist ihr, dass sie es überhaupt schaffte, gemeinsam mit 20 Künstler*innen innerhalb kürzester Zeit eine Schau auf die Beine zu stellen inklusive notwendiger Kompromisse und improvisierter Lösungen.

Vielleicht ist der Titel der Schau, „Zärtlichkeit. Vom Zusammenleben“ auch ein wenig so zu verstehen als Aufforderung, Sanftmut zu wagen, Sanftmut auch beim Betrachten. Was nicht heißen soll, die Schau lohne sich nicht. Das bewährte Rezept, halbverfallene Architektur mit zeitgenössischer Kunst zu kombinieren, geht auf, schon gar bei der illustren Künstler*innenliste für das Jubiläum.

Kleine Schwächen offenbaren sich jedoch immer dann, wenn der Blick beim Flanieren durch die Hallen, Räume und Flure doch wieder mehr an den Eigenheiten derselben als bei den ausgestellten Arbeiten hängen bleibt, an Löchern in Wand und Boden zum Beispiel, an der barocken Pracht der Stuckdecken, auf denen den Putten die Früchte direkt in den Mund wachsen, oder den reich dekorierten Kachelöfen.

Es sind auch Werke dabei, die unter dem Eindruck von Corona entstanden sind

Karin Sander dreht angesichts dieser visuellen Fülle den Spieß einfach um und stellt ihren „Hannes“, den im Verhältnis 1:6 ausgedruckten 3-D-Bodyscan eines bis auf die Turnschuhe unbekleideten, bierbäuchigen, mittelalten weißen Mannes, auf ein Podest mitten hinein. Mitleid könnte man mit ihm bekommen, wie er da so inmitten der barocken Sinnlichkeit allein auf sich gestellt, nackt und bloß herumlungern muss.

Große ortsspezifische Interventionen konnten in den wenigen Wochen indes kaum verwirklicht werden, doch tatsächlich sind auch Arbeiten dabei, die erst 2020 und auf die eine oder andere Art und Weise unter dem Eindruck Coronas entstanden. José Nogueros großformatige, von Landschaften ausgehende Malerei etwa. Oder auch Leiko Ikemuras „Praise of Light II“, gemalt mit Tempera und Öl auf Jute, das sich so perfekt in eine Wandnische schmiegt, als sei es dafür gemacht. Ist es nicht. Passend zum Thema aber schon: Die Zärtlichkeit, die darin durchscheine, sei nicht nur romantisch zu verstehen, erklärte die Künstlerin, sondern im Sinne einer Haltung, die gerade so dringend benötigt werde.

Haltung beweisen auch andere Positionen, die nicht neu, dafür aber sehr gut platziert sind, die Beiträge etwa von Via Lewandowsky, Michael Sailstorfer und Christiane Möbus oder auch die Stockbetten samt übrig gebliebener Alltagsobjekte, Hinterlassenschaften von Geflüchteten, die Thomas Rentmeisters aus deutschen Notunterkünften gesammelt hat. Wo ist sie da nur hin, die Zärtlichkeit, die Sanftmut, die Humanität? Stark ist die 25. Ausgabe von Rohkunstbau vor allem da, wo die Zwischentöne lauter werden.

Rohkunstbau 25 auf Schloss Lieberose, Sa.+So. 12–18 Uhr, Zutritt nur mit vorab gebuchtem Ticket über www.rohkunstbau.net, bis 20. September

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