Sie nennen es Brot-Porno

Biobäcker gegen Backkonzerne: Harald Riedls ernüchternder Dokumentarfilm „Brot“

Von Thomas Winkler

Irgendwann führt einen der ewig freundlich erklärende PR-Fachmann des international agierenden Backmittelkonzerns in die glitzernde Konzernküche, um ein Brot zu backen. Er knetet und formt und wedelt etwas Mehl über den Teig, schließlich schiebt er vier Laibe in die Röhre des Testofens. „Es ist faszinierend, zu sehen, wie sich das Brot im Ofen entwickelt, wie es all seine Kraft entfesselt“, sagt der Marketingexperte und beginnt, durch das Fenster des Ofens mit seinem Handy zu filmen, während die Teigbrocken aufgehen, wachsen, ja nahezu explodieren.

Er holt eines der unförmigen, unappetitlichen Dinger aus dem Ofen, wiegt es mit Kennermiene in den Händen. Als er sich sein Filmchen, das der Erklärbär gleich in den sozialen Kanälen des Backmittelkonzerns posten wird, noch einmal ansieht, lächelt er zufrieden: „Wir nennen das Brot-Porno.“

Es ist die lustigste Szene in diesem eher ernüchternden Film. In „Brot“ stellt der österreichische Dokumentarfilmer Harald Friedl systematisch und in durchaus propagandistischer Absicht zwei Lager gegeneinander, die beide behaupten, sie würden dasselbe tun, ihr Ziel aber mit komplett verschiedenen Mitteln zu erreichen versuchen. Auf der einen Seite: Biobäcker in Österreich, Frankreich und Deutschland, die in Handarbeit, mit viel Liebe und ausschließlich aus Mehl, Wasser und Salz das womöglich wichtigste Lebensmittel herstellen, das wir kennen.

Auf der anderen Seite: der belgische Backmittelkonzern oder der deutsche Fa­brikbrothersteller, die von Produktentwicklung und Spitzentechnologie sprechen, vom großen Vertrauen, das das Produkt Bot in der Gesellschaft genießt, die von ihren Enzymen schwärmen, die sie zu Cocktails mixen, und stolz darauf sind, dass sie im Labor den Geschmack eines Sauerteigs aus einer kleinen Bäckerei im italienischen Altamura nachbauen können. Hier wird bereits daran geforscht, wie eine Bäckerei auf dem Mars aussehen könnte, und Brot entwickelt, das nicht mehr krümelt, damit die Brösel nicht störend in der Schwerelosigkeit des Raumschiffs treiben.

Gewinnmaximierung verformt

So geht es in „Brot“ natürlich um mehr als nur Brot, um viel mehr. Es geht um den Kampf zwischen einem sterbenden Handwerk und einer florierenden Industrie, zwischen Nachhaltigkeit und Profit. Es geht um den Kapitalismus und wie er zuerst die Produkte, dann das Leben und schließlich den Menschen im Sinne der Gewinnmaximierung verformt.

Und es geht um die, die sich dagegen wehren. Um den französischen Bäcker, der davon schwärmt, dass er sein Baguette dreimal so lange gehen und backen lässt, wie herkömmliche Bäcker das tun. Um seine Kollegin, deren Vater einst für Salvador Dalí das Mobiliar eines ganzen Schlafzimmers aus Brot nachbacken durfte. Um die kernigen österreichischen Brüder, die die Fami­lien­bäckerei radikal auf ökologische Produktion umgestellt haben, um sie vor der Pleite zu retten, und ihre Arme tief in den Sauerteig tauchen. Um den Biolandwirt, der für die Grünen im EU-Parlament sitzt, und das Forschungsinstitut in Stockholm, das in Studien nachgewiesen hat, dass die Chemie, die bei der industriellen Brotproduktion eingesetzt wird, die Fruchtbarkeit von Männern und Frauen beeinträchtigen und Fettleibigkeit bei Kindern fördern kann.

In diesem Krieg, der um unser Grundnahrungsmittel tobt, steckt „Brot“ mit ziemlich konventionellen Mitteln des Dokumentarfilms und in bisweilen arg glatt polierten Bildern nicht nur die Fronten ab, sondern bezieht eindeutig, vielleicht etwas zu eindeutig Stellung. Die einen lässt Filmemacher Friedl sagen: Backen „ist a bisserl wie Zauberei“. Die anderen: „Backen ist Wissenschaft.“ Die Guten glauben fest: „Brot ist Leben.“ Die Bösen versprechen: „Wir nehmen unsere Kunden mit in die Zukunft.“ Es soll einem Angst machen. Es macht Angst.

„Brot“. Regie: Harald Friedl. Österreich/Deutschland 2020, 94 Min.