Deutschlands EU-Ratspräsidentschaft: Zurück auf null

Schon lange bereitet sich die Bundesregierung auf den Vorsitz vor – und muss ihre Pläne wegen der Coronakrise nun über den Haufen werfen.

Angela Merkel während einer Pressekonferenz

Merkel muss nun eine „Coronapräsidentschaft“ improvisieren Foto: Odd Andersen/dpa

BRÜSSEL taz | Alles war von langer Hand vorbereitet. Um den Kampf gegen den Klimawandel, die China-Politik und den Brexit sollte es gehen, wenn Deutschland am 1. Juli für sechs Monate den EU-Vorsitz übernimmt. Schon seit einem Jahr bereitet sich die Bundesregierung auf „ihre“ Präsidentschaft vor, hundert Experten wurden eigens nach Brüssel geschickt.

Doch wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Pläne am Mittwoch dem Europaparlament vorstellt, muss sie wieder bei null anfangen. Merkel muss nun eine „Coronapräsidentschaft“ improvisieren. Die Gesundheitskrise schlägt den Green Deal, der Wiederaufbau wird wichtiger als der Brexit.

Dann ist da auch noch die ungewohnte neue Rolle, die Deutschland in der Finanzpolitik einnimmt. Noch vor wenigen Wochen zählte Merkel zu den Hardlinern. Keine Gemeinschaftsschulden, keine Transfer­union, und schon gar kein Geld ohne strikte deutsche Kontrolle: So lautete ihr finanzpolitisches Mantra.

Doch nun steht Merkel überraschend für das Gegenteil ein: Gemeinsam mit Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron fordert sie 500 Milliarden Euro als Wiederaufbauhilfe, finanziert durch EU-Anleihen. Arm in Arm mit Kommissionschefin Ursula von der Leyen will sie einen Aufschwung auf Pump finanzieren, rückzahlbar in 20 oder 30 Jahren.

Sogar CSU-Politiker Weber steht hinter dem Finanzplan

Bei den meisten EU-Abgeordneten dürfte das gut ankommen. Schließlich fordert auch das Europaparlament einen schuldenfinanzierten „Recovery Fund“. Sogar der CSU-Politiker Manfred Weber hat sich hinter Merkel gestellt. Einzige Bedingung: kein „neues Geld für alte Probleme“ – und keine Hilfe für die „kommunistische Podemos in Spanien“.

Doch ein Heimspiel dürfte das Treffen mit den EU-Parlamentsspitzen im Berliner Kanzleramt dennoch nicht werden. „Die Bundesregierung ist schlecht vorbereitet“, kritisiert Martin Schirdewan, der die linke Fraktion im Europaparlament leitet. Schon vor Corona sei keine klare Linie erkennbar gewesen. Doch nun gehe alles durcheinander.

Der europaweite Mindestlohn drohe ebenso unterzugehen wie der Neuanfang in der Asylpolitik, kritisiert Schirdewan. Statt einen europäischen Gesundheitsfonds zu planen, wolle Merkel den neuen Verteidigungsfonds um 650 Prozent aufstocken. Zudem bleibe die „entscheidende Frage der solidarischen Bewältigung der Krise unbeantwortet“.

Bisher liegt den Abgeordneten in Berlin und Brüssel jedoch kaum mehr als ein dürres Papier des Auswärtigen Amtes vor. Das „zentrale Thema“ werde die Bewältigung der Coronakrise sein, heißt es wenig überraschend. „Die Erwartungen an die deutsche Präsidentschaft sind mit der Coronakrise noch einmal gestiegen“, betonen die Autoren.

EU arbeitet auf Sparflamme – wegen der Technik

Gleichzeitig müsse man sich aber an „neue Rahmenbedingungen“ anpassen. Gemeint sind die drastisch eingeschränkten Arbeitsmöglichkeiten: Wegen Corona dürften die meisten Ministertreffen ausfallen, sogar der für September geplante EU-China-Gipfel in Leipzig wackelt.

Die größten Sorgen bereitet dem deutschen EU-Botschafter Michael Clauß jedoch die Technik. Die meisten Ratstreffen müssten wohl als Videokonferenz abgehalten werden, fürchtet Clauß. Dafür stünden in Brüssel jedoch nicht genügend modern ausgerüstete Räume bereit – trotz eines sündhaft teuren Neubaus für die Staats- und Regierungschefs.

Im Ergebnis werde man wohl nur 30 Prozent der normalen Arbeitskapazität sichern können, warnt Clauß. Ausgerechnet in ihrer härtesten Bewährungsprobe funktioniert die EU nur auf Sparflamme. Merkel muss sich auf schwere Monate einstellen – dabei ist es wohl ihre letzte Chance, europapolitische Akzente zu setzen und die EU zu retten.

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