zwischen den rillen
: Der Eigenbrötler von der sechsten Avenue

Moondog: „On The Streets Of New York“ (Mississippi Records/Cargo)

An der 6th Avenue in New York stand über Jahre ein baumlanger Mann mit weißem Rauschebart. Er trug Wikingerhelm, eine Kutte und er führte eine Lanze mit sich. Louis Thomas Hardin, besser bekannt als Moondog, machte von den 1940ern bis Mitte der 1970er in Manhattan Straßenmusik, sein Outfit ging auf eine Vorliebe für nordische Sagen zurück. Beeindruckend waren auch seine Instrumente Marke Eigenbau – etwa ein Multiperkussionsinstrument, das er „Trimba“ taufte, und eine Zither, die er „Oo“ nannte. Zudem spielte er unter anderem Querflöte, Geige und Oud.

Die wenigsten Passanten dürften damals geahnt haben, dass sie einen hochtalentierten Komponisten vor sich hatten. Der 1916 im US-Bundesstaat Kansas geborene Hardin, der bei einem Unfall als 16-Jähriger erblindet war, hatte in Memphis Musik studiert, er komponierte in Brailleschrift. Mit zahlreichen Sinfonien, mit Jazzstücken wie „Bird’s Lament“, das er Ende der Fünfziger für den verstorbenen Charlie Parker schrieb, mit Songs wie „All is Loneliness“ und „Autumn“, die zwischen Pop, indigener Musik und Klassik changierten, sollte er in die Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts eingehen – wobei er bis heute in erster Linie in der Fachwelt anerkannt ist.

Eine Moondog-Renaissance, die seine Werke populärer machen könnte, ist bis heute ausgeblieben. Allerdings wird immer mal wieder etwas von ihm wiederveröffentlicht. So auch die kürzlich erschienene Zusammenstellung „Moondog: On The Streets Of New York“. Auf ihr sind Songs enthalten, die der Musikhistoriker und Sounddesigner Tony Schwartz zwischen 1953 und 1962 von ihm aufgenommen hat.

Die Stücke sind zum Teil direkt auf der Straße eingespielt, in „Avenue Of The Americas (51st Street)“ oder „2 West 46th Street“ etwa hört man das Grundrauschen New Yorks in Kombination mit den Moondog’schen Rhythmen.

In den kurzen Stücken, die wie Skizzen daherkommen, ist Moondog vor allem als großer Perkussionist zu entdecken. Es klickert und klackert eigentlich immer etwas, Moondog arbeitet mit dem Sound von Trommeln, Holz und Metall. Der Indian Beat beeinflusste ihn zeitlebens, sein Vater nahm ihn schon als Kind in Indianerreservate mit, er besuchte die Natives auch später des Öfteren.

Dieser Einfluss zeigt sich auch in seinem Gesang in „Untitled Chants 1–4“, wo er mit Ululation – also dem jodelartigen Gesang – und vergleichbaren Stimmtechniken arbeitet.

In anderen Stücken wie „Chant“ meint man dagegen einen fernöstlichen Einfluss auszumachen, da ist er nicht weit weg von Gamelan und japanischer Folklore. Die klassische Ausbildung stellte er zu seiner Zeit auf den Straßen New Yorks bewusst in den Hintergrund, um sich mehr dem Experimentellen zu widmen. „Als ich anfing, auf der Straße aufzutreten, begann ich mich auch für Jazz zu interessieren“, sagte Hardin einmal in einem Interview.

Die Stücke sind zum Teil direkt auf der Straße eingespielt

Trotz – oder wegen – all dieser vielfältigen Einflüsse kommt einem New York oft wie ein zweiter Protagonist dieser Aufnahmen vor. Es macht den Eindruck, als könnten diese Klänge aus gar keiner anderen Stadt stammen. Etwas Abgehangenes, Widerborstiges, Eigensinniges zieht sich durch alle Stücke, das einleitende „Why Spend the Dark Night With You?“ nimmt den Dark-Jazzgeist und den Blues eines Tom Waits vorweg, mit den Flöten scheint ein kühl-melancholischer Wind durch die 6th Avenue zu ziehen.

Auch wenn der 1999 verstorbene Moondog seine zweite Lebenshälfte in Deutschland – im Ruhrgebiet und in Münster – lebte, wo er mit Ilona Göbel eine Mentorin gefunden hatte, blieb New York die Heimat seines Herzens. „Es gibt keine andere Stadt in der Welt wie diese“, sagte Moondog seinem Produzenten Schwartz, „ich vermisse New York schrecklich, wenn ich nur drei Tage weg bin.“ Wie sich die Liebe zum Big Apple in Musik übersetzt anhört, das zeigt diese Veröffentlichung überdeutlich. Jens Uthoff